Neuss Kunst kann Architektur nicht ersetzen

Neuss · Die Diskussion unter dem Titel "Von Breker bis Banksy – Kunst im öffentlichen Raum" bot über rund zweieinhalb Stunden einen spannungsvollen Austausch von Fachleuten. Die Veranstaltung gehörte zur "agenda 21"

 Mitten in der Streetart von "boys boys boys" in der Alten Post: Professor Raimund Stecker, Carl Friedrich Schröer, Helmut Blochwitz und Robert Kaltenhäuser (v.l.).

Mitten in der Streetart von "boys boys boys" in der Alten Post: Professor Raimund Stecker, Carl Friedrich Schröer, Helmut Blochwitz und Robert Kaltenhäuser (v.l.).

Foto: Andreas Woitschützke

Die Diskussion unter dem Titel "Von Breker bis Banksy — Kunst im öffentlichen Raum" bot über rund zweieinhalb Stunden einen spannungsvollen Austausch von Fachleuten. Die Veranstaltung gehörte zur "agenda 21"

Der Beamer wirft an die Wand, was diskutiert werden soll: Kunst im öffentlichen Raum, in diesem Fall besonders bunte Bilder an den Wänden einer großen Halle. Von Streetart-Künstlern geschaffen, deren Arbeit jedoch den landläufigen Begriff der Graffiti längst sprengen. Das lässt sich auch gerade in der Alten Post in der Ausstellung "boys boys boys" entdecken — was somit den idealen Rahmen gibt für eine Diskussion unter Fachleuten über die Bedeutung von Kunst im öffentlichen Raum. "Von Breker bis Banksy" hat Klaus Richter, Kurator der Ausstellung und selbst Künstler, dieses "Neusser Stadtgespräch" betitelt, das als Teil der "agenda 21" vom Forum Stadtentwicklung und Bund Deutscher Architekten (BdA) veranstaltet wird.

Um es vorweg zu nehmen: Wann und wo Kunst im öffentlichen Raum sinnvoll ist, wer darüber bestimmen, wer sie machen soll — darüber gab auch diese spannende und kontrovers geführte Diskussion keine endgültige Auskunft. Aber sie gab so viel Anregungen und Bedenkenswertes, dass man die Nacht vermutlich durchdiskutieren könnte. Wäre danach vermutlich auch nicht schlauer, hätte aber seinen Horizont erweitert. Das jedenfalls ist genau das, was sich der Autor Helmut Blochwitz, der in Kaarst das Projekt Stelenweg mitinitiiert hat, erhofft: Er selbst sprach davon, dass etwa bei der Streetart das meiste an ihm vorbei geht oder in seiner starken Farbigkeit "mich zumacht" — bis ihn dann plötzlich doch eine Arbeit berührt, die sich dann auch in seinen Kopf einnistet.

Dass ihm dieses Beispiel der Mann lieferte, der an diesem Abend neben ihm saß, war ein schöner Zufall: Robert Kaltenhäuser, in der Graffiti-Szene (auch der illegalen) großgeworden und heute als Autor und Kurator tätig, hat eben dieses Bild zusammen mit anderen Künstlern geschaffen. Ob Streetart womöglich die bessere Kunst im öffentliche Raum ist, wollte Moderator Carl-Freidrich-Schoer (eiskeller-tv) von Kaltenhäuser wissen, aber der mochte das nicht so absolut sehen. Das zumeist Ungenehmigte dieser Mal-Aktionen schaffe einen Freiraum der Überraschung, meinte er, bei den Künstlern ebenso wie bei den Betrachtern.

Gar nicht einverstanden war er indes mit einer These, die Professor Raimund Stecker (ehemaliger Leiter des Lehmbruck-Museum Duisburg) vertrat. Er meinte nämlich, dass Graffiti oder Streetart ein Akt des Widerstandes sei. "Dieser Gedanke wird gar nicht so groß geschrieben", meinte Kaltenhäuser, Verbote gäben eher den Schwierigkeitsgrad vor, dabei gehe es weniger um einen Protestakt. Und: "Die wirklich guten Leute machen hohe Kunst."

Wenn es nach Stecker geht, ist Kunst im öffentlichen Raum nur ein Beleg dafür, dass Architekten heute Städte bauen, die zur Entfremdung des Einzelnen von seiner unmittelbaren Umgebung beitragen. "Beim Petersdom braucht es keine zusätzliche Kunst — da ist die Architektur stark genug." Graffiti ist für ihn eine "Wiedervereinnahmung der Stadt, der der Mensch eigentlich schon entfremdet ist". Dazu passte dann ein Beispiel aus dem Publikum. Klaus Klinger, Wandmaler und Gerhard-Richter-Schüler aus Düsseldorf, erzählte von einer Aktion, bei der Künstler über Nacht eine Unterführung ausmalten, über deren Gestaltung zuvor nur geredet wurde: "Das ist doch ein Geschenk!"

Ob Kunst im öffentlichen Raum nun stören (Kaltenhäuser) oder nicht stören (Stecker) soll, wurde nicht entschieden. Anderes aber konnten alle unterstreichen. Für die Auseinandersetzung mit Kunst generell fehlt es vielfach an Seh-Erfahrungen, denn es gebe schon in den Schulen keine ästhetische Bildung mehr.

(NGZ)
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