Neuss Leben von der Barmherzigkeit anderer

Neuss · Die Legende von Sankt Martin erzählt von der spontanen Bereitschaft zu teilen. In der Wohnungslosenhilfe Café Ausblick erzählen Wohnungslose und sozial Benachteiligte wie es ist, darauf angewiesen zu sein.

 In der Gefährdeten- und Wohnungslosenhilfe Café Ausblick an der Breite Straße erhalten sozial Benachteiligte und Wohnungslose von den Mitarbeitern Christina Lüngen und Michael Ziegler ein günstiges Essen.

In der Gefährdeten- und Wohnungslosenhilfe Café Ausblick an der Breite Straße erhalten sozial Benachteiligte und Wohnungslose von den Mitarbeitern Christina Lüngen und Michael Ziegler ein günstiges Essen.

Foto: A. Woitschützke

Mitte November sinken draußen die Temperaturen - und im Café Ausblick an der Breite Straße ist viel los. Stühle werden gerückt, Suppenteller geleert, einige Besucher unterhalten sich bei Kaffee und Zigarette. Manch einer nutzt die Öffnungszeiten der Caritas-Einrichtung, um zusammengekauert auf einem Stuhl ein wenig zu schlafen.

Durch die Straßen klingt derweil das Lied von Sankt Martin, dem "frommen Mann", der für den Bettler "mit dem Schwerte teilt, den warmen Mantel unverweilt." Die Legende fordert auf zur spontanen Bereitschaft, mit den Armen und Benachteiligten zu Teilen. Zwischen 40 und 50 Betroffene kommen täglich in das Café. Viele sind zur Zeit wohnungslos und übernachten in der Notschlafstelle am Derendorfweg. Der Rest ist mindestens schon einmal wohnungslos gewesen. In der Tagesstätte können sie sich aufwärmen, bekommen günstig zu essen und Unterstützung bei der Wohnungssuche. Das Leben auf der Straße, angewiesen auf die spontane Güte Fremder, wie sie der Bettler aus dem Martinslied erlebt, kennen sie gut.

Harald D. hat sieben Jahre lang auf der Straße gelebt. Mittlerweile wohnt der 51-Jährige wieder in einer eigenen Wohnung, für das Martinssingen der Neusser Kinder hat er in diesem Jahr sogar Süßigkeiten eingekauft. Dass das Betteln für ihn selten Option gewesen sei, darauf legt er großen Wert. "Auch wenn ich keine feste Bleibe hatte, habe ich immer versucht, durch Gelegenheitsjobs an eigenes Geld zu kommen", sagt er. Wenn er angewiesen gewesen sei, auf eine Gabe Fremder, habe er sich stets an einen Grundsatz gehalten: "Es kommt darauf an, wie man einander begegnet. Wenn ich höflich um etwas bitte, reagieren die Leute auch höflich auf mich."

Diese Meinung teilt auch Stefan K. In dem Sommer, den der 41-Jährige auf der Straße verbrachte, habe er zwar auch harsche Reaktionen erlebt. "Geh' mal arbeiten! Such' dir einen Wohnung! So etwas hört man immer wieder", sagt er. Grundsätzlich käme es aber darauf an, wie man sich zeigt. "Alkohol trinke ich nicht, immer nur Wasser. Meistens habe ich nach Essen gefragt und nicht nach Geld", sagt er. Trotzdem sei es auch als Bettler wichtig, Fremden nicht blind zu vertrauen. Eine Gruppe Männer habe ihm einmal einen Schlafplatz angeboten. "Ich habe das abgelehnt", erinnert er sich: "Die haben mir auch Geld zugesteckt und waren irgendwie seltsam. Ich hatte ein ungutes Gefühl."

Abseits von den anderen sitzt Ekehard F. und liest Zeitung. Obdachlos sei er seit unzähligen Jahren, sagt er. Von Dortmund über Düsseldorf bis nach Neuss sei er gezogen, die spontane Hilfsbereitschaft Fremder habe ihm ein paar Mal das Leben gerettet. "Ich saß mal am Rhein, barfuß, und ein vorbeigehender Mann hat meine Füße gesehen. Er kam zurück, gab mir 50 Euro und bat mich, zum Arzt zu gehen." Einige Wochen später hätten Fahrgäste in der S-Bahn einen Krankenwagen gerufen, der ihn ins Lukas-Krankenhaus brachte.

(NGZ)
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