Neuss Malandain Ballett verzaubert Stadthalle

Neuss · Nach zwei Jahren gastierte die gefeierte Compagnie aus dem südfranzösischen Biarritz wieder bei den Tanzwochen Neuss. Mit schwereloser Eleganz begeisterte das Ballett das Publikum in der nahezu ausverkauften Stadthalle.

 Szene aus der Choreographie "Une dernière Chanson" des Malandain Ballet Biarritz.

Szene aus der Choreographie "Une dernière Chanson" des Malandain Ballet Biarritz.

Foto: Olivier Houeix

Der grandiose Abend mit dem Malandain Ballett Biarritz beginnt mit dem Solo "Silhouette". Ganz ruhig, ganz konzentriert, absolviert der Tänzer Frederik Deberdt in einem skizzierten Probensaal seine Übungen. Barfuß und mit nacktem Oberkörper dehnt, beugt, reckt und streckt er sich, begleitet vom dritten Satz aus Ludwig van Beethovens Klaviersonate E-dur op. 109. Eine Anordnung von Gestängen markiert sein Revier. Daran hält er sich zunächst. Doch bald beflügelt ihn die elegische Musik, die Enge wird ihm unerträglich. Eine nach der anderen stößt er die Barrieren um und verschafft sich Raum. Mit kindlicher Freude bäumt er sich übermütig auf, schwingt sich kraftvoll und mit kühnen Sprüngen in die Luft. Aber der Akt der Befreiung währt nur kurz. Als besinne er sich auf seine täglichen Pflichten, richtet der Tänzer alle Stangen wieder auf und setzt seine Übungen diszipliniert fort. Zwölf beeindruckende Minuten.

Nach zwei Jahren gastierte die gefeierte südfranzösische Compagnie erneut bei den Tanzwochen Neuss in der nahezu ausverkauften Stadthalle. Alle drei Stücke choreografierte Thierry Malandain, künstlerischer Leiter der 1998 von ihm gegründeten Compagnie. Sein Ensemble aus 22 Balletttänzern, allesamt klassisch ausgebildet, bringt das Kunststück fertig, Schweres federleicht und sprühend aussehen zu lassen. Und ungemein betörend - wie im zweiten Stück "Une dernière chanson". Die Musik von Vincent Dumestre breitet einen eigentümlich soghaften Klangteppich aus. Der rote Faden sind altfranzösische Gesänge. Sie mischen sich reizvoll mit munteren Volkstänzen und mittelalterlich anmutender Musik.

Man kann vieles heraushören, was einem spanisch, arabisch oder indisch vorkommt. Oder auch irisch, zumal die Tänzer ab und an nur die Beine bewegen und ihr Körper statisch bleibt - so wie es die Gruppe "Riverdance" meisterhaft vorführt. Die schnelle Folge von Pas de deux und Gruppentanz auf pinkfarben angestrahlter Bühne macht "Une dernière chanson" zu einem quirligen und ansteckend heiteren Ballett. Nach jeder Sequenz wird neckisch in die Luft gepustet. Zuletzt verkriechen sich die zehn Tänzer unter einer bunten Patchwork-Decke, bewegen sich mit ihr und unter ihr. Für Sekunden schält sich ein nacktes Paar heraus. Dann wird es dunkel.

Nach der Pause leuchtet bei "Estro" eine silberne Insel auf, umringt von schwarz gekleideten Gestalten. Antonio Vivaldis "Stabat Mater" hebt an. Das gebündelte Licht löst sich auf, wird zu einzelnen Laternen, mit denen die Tänzer spielen. Sie schwingen sie über die Köpfe, werfen sie einander zu oder nutzen sie als Hocker. Schwerelose Eleganz zu kunstvoll kombinierter Musik: Vivaldis jauchzendes "Estro Armonico op. 3" wird dem strengen "Stabat Mater" entgegen gesetzt, Passagen aus beiden Werken wechseln sich ab.

Die Choreografie von Thierry Malandain fasziniert mit ihren Kontrasten aus Erdenschwere und Himmelssturm. Sie folgt jener des legendären Stuttgarter Ballettdirektors John Cranko, der "Estro" 1963 inszeniert hatte. Das verzauberte Publikum verabschiedet die Compagnie mit einhelligem Jubel.

(NGZ)
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