Gastbeitrag von Margot Käßmann Weihnachten ist kein Geschenkefest!

Neuss · Margot Käßmann, Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland für das Reformationsjubiläum 2017, kritisiert in einem Gastbeitrag für die unsere Redaktion eine verbreitete Inhaltsleere des Weihnachtsfestes.

 Margot Käßmann (Archivaufnahme von 2015)

Margot Käßmann (Archivaufnahme von 2015)

Foto: dpa

Früher war die Adventszeit eine Fastenzeit, um die Vorbereitung zu intensivieren. Vorfreude entsteht durch Warten. Aber unsere Gesellschaft hat Warten verlernt und auch Rituale und Tradition. Alle Lebensbereiche werden kommerzialisiert, auch christliche Bräuche sind Teil der Marktgesellschaft. Ich habe nichts dagegen, dass der Einzelhandel am Fest verdient. Mich stören Weihnachtsmärkte und heimelige Dekoläden in der Adventszeit nicht. Ich kann sogar dem "Last Christmas"-Gedudel etwas abgewinnen. Aber mit dem ursprünglichen Weihnachtsfest hat das alles nicht viel zu tun.

Als Christen feiern wir, dass mit diesem Kind, das geboren wurde, Gott selbst in die Welt kommt. Dass mit ihm eine Botschaft in die Welt kommt, die lautet: "Fürchtet euch nicht!" Und: "Frieden auf Erden!" Wir sind überzeugt, dass wir Menschen und unsere Erde nicht sinnlos und verloren existieren, sondern Jesus uns gezeigt hat, wer Gott ist und wie Gott ist. In den Seligpreisungen zeichnet er eine Kontrastgesellschaft: So könnten wir zusammen leben in Frieden und in Gerechtigkeit, mit Barmherzigkeit und reinem Herzen. Und nach seinem Tod begreifen die, die ihm gefolgt sind, dass der Tod nicht das letzte Wort hatte in der Geschichte des Jesus von Nazareth. Das ist bewegend. Das kann dem Leben Sinn, Halt und Haltung geben.

Dieser Jesus von Nazareth wurde zu Lebzeiten, aber besonders nach seinem Tod bekannt. Seine Geburt wurde deshalb erst nachträglich rekonstruiert. Es war niemand dabei, ein Youtube-Video ist nicht vorhanden. Aber der Evangelist Lukas hat eine Geburtsgeschichte aufgeschrieben, die Menschen auf der ganzen Welt seit fast 2000 Jahren bewegt. Und zwar vor allem, weil es gerade keine Geschichte ist, die in Glitzerpalästen spielt. Da wird eine Frau unter schwierigen Umständen schwanger. In diesem Zustand muss sie — von der Diktatur gezwungen — zu einer Volkszählung aufbrechen. Dort bringt sie unter ärmlichen Umständen ihr Kind zur Welt. Lukas malt aus, dass es arme Leute sind, Hirten, die kommen und das Kind begrüßen. Matthäus fügt hinzu, dass auch reiche Männer aus fernen Landen ihre Aufwartung machen. Ihm verdanken wir auch die Erzählung, dass Eltern und Säugling kurz darauf zu Flüchtlingen werden.

Diese Geschichte wird von Jesu Tod her erzählt, weil Menschen begreifen: Dieser Jesus war ein Mensch wie wir, aber auch Gott war präsent durch ihn. Und mit Martin Luther erhält sie in Deutschland besondere Bedeutung. Luther sieht sich als "Weihnachtschristen". Er ist leidenschaftlicher Familienvater und liebt die Geschichte. Bis dahin war Nikolaus das große Fest, wie heute noch in den Niederlanden. Jetzt wird Weihnachten zum Familienfest. Luther dichtet das Lied "Vom Himmel hoch, da komm ich her", damit seine Kinder Zuhause zum Text ein Krippenspiel aufführen können. Ende des 16. Jahrhunderts beginnt sich in evangelischen Kreisen der Weihnachtsbaum zu etablieren, bald wird der Brauch auch in katholischen Gebieten übernommen. Und Johann Hinrich Wichern beginnt im Rauhen Haus in Hamburg damit, mit einem Adventskranz das Warten auf Weihnachten einzuläuten.

Übrigens: Luther sprach stets vom Christkind. Der "Hohoho-Weihnachtsmann" ist eine Nikolauskarikatur, die durch Coca-Cola-Werbung berühmt wurde. Vielleicht war das ja der erste Schritt zur Kommerzialisierung und totalen Banalisierung des Christfestes. Oder es war die DDR-Regierung, die Engel in "Jahresendzeitfiguren" umbenannt hat, um dem Exportschlager aus dem Erzgebirge den christlichen Zusammenhang zu entziehen.

Die Engel aber, die in jeder Deko vorkommen, sie verkünden die Botschaft: Fürchtet euch nicht! Die Sterne stehen für den einen Stern, der den Weg zur Krippe zeigt. Das Kind in der Krippe ist das Christkind. Wir sehen es als Geschenk Gottes an. Deshalb schenken wir besonders Kindern etwas am Christfest. Vom Weihnachtsmann ist in der Geschichte keine Spur. Den Nikolaustag feiern wir in christlicher Tradition in Erinnerung an einen Bischof, der ein großes Herz gezeigt hat.

Ist das eine Kulturfrage, eine Glaubensfrage oder schlicht eine der totalen Kommerzialisierung aller Lebensbereiche? Vielleicht ist es ja auch eine Bildungsfrage. Viele Menschen wissen ja auch nicht mehr, warum sie Martinstag feiern und was es mit den Martinsgänsen auf sich hat. Das macht solche Feste dann auch inhaltsleer.

Natürlich können Menschen ein Winterwohlfühlfest feiern und sich dabei etwas schenken, keine Frage. Wer aber Weihnachten feiern will, kommt an Jesus nicht vorbei. Neulich sagte mir ein Mann: Wer nicht in der Kirche ist, dem könnten die Firmen die Feiertage doch einfach streichen, der hat ja Weihnachten gar nichts zu feiern und an Ostern auch nicht. Ein bisschen radikal, ich weiß, aber er trifft einen Punkt. Ich weiß nicht, was Menschen am 24. Dezember feiern, die mit christlichem Glauben nichts am Hut haben. Weihnachten ist es jedenfalls nicht.

Als Christin liebe ich Weihnachten. Weil es um die Liebe Gottes zu den Menschen geht, symbolisiert in der Liebe zu einem Kind. Um Menschen in Armut geht es, denen Hoffnung zugesprochen wird. Und ich bin auch Weihnachts-Christin, weil es gerade nicht um süßliche Kitschkonstellationen geht, die viele so sehr belasten, dass sie Angst vor Weihnachten haben. Sie können den wunderbaren Bildern der Werbung nicht standhalten, weil es Streit gibt in der Familie, sie einsam sind, unglücklich oder krank. Gerade sie aber kommen in der Geschichte vor. In der Geschichte von der Geburt, in der Lebensgeschichte des Jesus von Nazareth und auch in seinem Leiden und Sterben, das aber eben kein Punkt ist, sondern ein Doppelpunkt. Wenn diese ganzen Inhalte wegfallen, können wir Weihnachten auch abschaffen.

Ich habe nichts gegen Kitsch. Ich schmücke gern einen Baum und suche Geschenke aus für Menschen, die ich liebe. Aber eine Weihnachtsfeier ohne Gottesdienst ist für mich undenkbar. Meinetwegen darf sich der Einzelhandel an Weihnachten eine goldene Nase verdienen. Aber wenn diejenigen, die feiern, überhaupt nicht mehr wissen, was sie feiern und warum, dann sollten sie es lieber lassen — oder sich ein ganz neues Fest ausdenken. Das hat ja in einer Welt, die auf Konsum und Kommerz fixiert ist, bei Halloween auch funktioniert."

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