Neuss Mit "Glüxxit" den Ausstieg aus der Spielsucht schaffen

Neuss · Glücksspiele sind inzwischen selbstverständlich im Leben vieler Jugendlicher. Das BBZ Weingartstraße geht dagegen an.

Neuss: Mit "Glüxxit" den Ausstieg aus der Spielsucht schaffen
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Im Nu hatte Tobias Hayer, Experte zum Thema Glücksspiel von der Universität Bremen, etwa 120 Schüler des Berufskollegs an der Weingartstraße in seinen Bann gezogen. Die Präventionsveranstaltung, zu der sich die Schüler im Alter von 16 bis Mitte 20 Jahren freiwillig angemeldet hatten, eröffnete der promovierte Psychologe mit einem Comic. Zu sehen: Eine Toilette, ein Spielautomat und ein Haufen Geld. Seine unmissverständliche Botschaft: "Egal, wo Sie ihr Geld hineinwerfen - der Effekt ist immer derselbe."

Ob Poker, Sportwetten oder Slotmachines - Glücksspiele sind mittlerweile selbstverständlich im Alltag vieler Jugendlicher. "60 bis 80 Prozent aller Minderjährigen geben in Umfragen an, schon mal gezockt zu haben", so Psychologe Hayer, der sich selbst als "berufsbedingten Zocker" bezeichnet und zu Forschungszwecken viele Casinos und Spielhallen dieser Welt besucht.

Ein bis drei Prozent der 13- bis 20-Jährigen entwickelten glücksspielbezogene Suchtproblematiken. Besonders gefährdet seien männliche Schüler mit Migrationshintergrund. "Deshalb haben wir das Projekt Glüxxit angestoßen", erklärt Verena Verhoeven, Leiterin der Fachstelle Glücksspielsucht der Neusser Caritas Sozialdienste. Dieses richte sich vor allem an zwei Adressaten: Zum einen Lehrer und Schulsozialarbeiter, da diese eine Schlüsselrolle bei der Erkennung gefährdeter Schüler einnehmen. Zum anderen sollen Schüler für die Risiken des Glücksspiels sensibilisiert werden. Das Berufskolleg ist die zweite Schule im Rhein-Kreis, die an dem Projekt teilnimmt.

Beratungslehrerin Corinna Eilers weiß, wie relevant das Thema auch am Neusser Berufskolleg mit seinen 3000 Schülern ist: "Manche erzählen mir, wie erfolgreich sie mit Fußballwetten waren. Andere Schüler bieten mir schon mal an, mein Geld vermehren zu wollen." Deshalb hatte sie die Initiative ergriffen und Schulleiter Dieter Bullmann davon überzeugt, wie sinnvoll eine solche Präventionsveranstaltung sei. "Es gibt Schulen, die mit dem Thema nicht in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden wollen", so Bullmann. Dennoch scheut er die mögliche Außenwirkung nicht, im Gegenteil: "Schule muss sich mit diesem Thema auseinandersetzen."

Wie richtig er damit liegt, zeigte sich, als Glücksspielforscher Hayer die Schüler fragt, wer schon mal gezockt habe. Mindestens ein Drittel zeigt auf. "Es ist ein geiles Gefühl, Geld aus dem Automaten zu bekommen", erzählt ein Schüler.

Wie schnell sich jedoch die Suchtspirale entwickeln könne, erklärte Hayer eindringlich. "Mit dem Geldeinsatz kauft man nur die Hoffnung auf mehr Geld. Deshalb machen Anbieter alles Erdenkliche, um Kohle vom Kunden zu erhalten." Ob verschachtelte Gänge, aus denen sich kein Ausgang finden lässt, wie im größten Glücksspielhotel Europas, das in Slowenien steht, oder Spielhallen, die grundsätzlich kein Tageslicht und keine Uhr haben, bis hin zu Automaten, die mit anregendem Duft besprüht seien.

"Ich habe mehr als 500 Glücksspielsüchtige kennengelernt. Mich kann nichts mehr schocken", sagt Hayer und erzählt von hoch verschuldeten Vätern, die sogar das Sparschwein ihrer Kinder schlachten, aber die Klassenfahrt nicht bezahlen können, von kriminell gewordenen Zockern, die Banken oder Spielhallen überfallen, bis hin zu Prominenten wie Uli Hoeneß, dem seine Day-Trading-Geschäfte zum Verhängnis wurden. Auch jene Spieler, die sich als bessere Trainer sehen und meinen, ihr so angebliches Expertenwissen in Sportwetten zu Geld machen zu können, warnt Hayer: "Am Ende gewinnen nur die Anbieter."

(BroerB)
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