Neuss Mit Kunst Erinnerungen festhalten

Neuss · "verschwinden - entgleiten - erinnern" heißt ein Ausstellungsprojekt der Alten Post mit der Galerie Schloss Neersen. Dort wird Malerei von Birte Horn gezeigt, in Neuss sind es Fotografien und Installationen von fünf Künstlerinnen.

 Klaus Richter ordnet die Fotos zu einem "Spaziergang".

Klaus Richter ordnet die Fotos zu einem "Spaziergang".

Foto: Hogekamp Lena

Die Grevenbroicher Künstlerin Margarete Schopen-Richter lebt in den Spuren ihrer Familiengeschichte. Aus Erden der Braunkohlgrube entstehen Bilder mit Farbflächen, immer wieder hat sie in den verlassenen Häusern nach Gegenständen gesucht, die von den früheren Bewohnern erzählen, aus Haus und Hof der Eltern geholt, was zu retten war. Kein Wunder also, dass Klaus Richter, Kurator und stellvertretender Leiter der Alten Post, sofort an sie dachte, als seine Kollegin Jutta Saum von der Galerie Schloss Neersen ihm ein Projekt anbot, das "verschwinden - entgleiten - erinnern" heißt.

 Schubladen und Gesteinsbrocken von Margarete Schopen-Richter.

Schubladen und Gesteinsbrocken von Margarete Schopen-Richter.

Foto: Hogekamp Lena

"Margarete Schopen-Richter lebt in diesen ganzen Dingen", sagt er, "im Grunde ist ihr ganzes Haus eine einzige Installation." Für die Ausstellung in der Alten Post hat Schopen-Richter einen Turm aus Schubladen gebaut. Sie stammen aus verschwundenen Häusern - einige sind sogar nicht richtig geleert worden.

 Vorn: Gabriele Undine Meyers Arbeit heißt "Recall by Night", Susan Donath (hinten r. ) beschäftigt sich mit Toten- und Sterbkultur.

Vorn: Gabriele Undine Meyers Arbeit heißt "Recall by Night", Susan Donath (hinten r. ) beschäftigt sich mit Toten- und Sterbkultur.

Foto: Lena Hogekamp

Jutta Saum zeigt in Neersen Malerei von Birte Horn eben unter dem Aspekt des Erinnerns, denn die Künstlerin dekonstruiert gewissermaßen Alltagsgegenstände oder Architektur und enthebt sie so ihrer Funktionalität.

Unter ihren Bildern finden sich auch solche, die den Braunkohleabbau dokumentieren, sagt Richter. Was dazu geführt habe, dass er wie auch Saum zunächst und sofort den Tagebau für das Kooperationsprojekt im Sinn hatte. "Aber das war mir dann doch zu abgedroschen als Thema", sagt Richter rigoros und hat daher andere Künstler mit ins Spiel gebracht. Öffentliche Förderung vom Land gibt es auch: "Dadurch können wir auch eine Publikation herausbringen", sagt Richter.

Schopen-Richter kennt Klaus Richter ebenso gut wie Brigitte Hempel-Schanzenbach. Und auch von der Fotografin wusste er, dass sie bei der Auflösung ihres Elternhauses nicht nur viel fotografiert hat, sondern diese Motive auch arrangierte: Ein paar schwarze Schuhe im Schnee, eine Schirmmütze auf einem Tisch zeugen nun von dieser so persönlichen wie künstlerischen Erinnerungsarbeit.

Dass sich dann mit Gabriele Undine Meyer, Veronika Peddinghaus und Susan Donath des weiteren nur Frauen dazugesellten, ist nur ein Zufall? Klaus Richter ist sich nicht sicher: "Aber später fiel mir auch der Name des einen oder anderen männlichen Künstlers ein." Für Hans Ennen-Köffers, Leiter der Alten Post, ist es hingegen offensichtlich: "Ich glaube tatsächlich, dass Frauen mit Vergänglichem besser klarkommen als Männer."

Wie auch immer. Meyer zeigt mit ihrer Installation, dass Erinnerung auch ein Alptraum sein kann: Ein großer schwarzer Klumpen, gespickt mit alten Familienbildern, schwebt über einem Bettgestell - jederzeit könnte er herabfallen und erdrücken. In der Ausstellung korrespondiert das wunderbar mit einem Tableau von Susan Donath, das den Schriftzug "Familie" trägt - in Versionen, wie sie sie auf Grabsteinen gefunden hat. Mit Hilfe von Bügelperlen hat sie sie fixiert und dokumentiert damit gleichzeitig die Fragilität des Gebildes Familie.

Peddinghaus ist im unteren Foyer mit Bleistiftskizzen vertreten, die ebenso wie eine Fotoserie in der ersten Etage zeigen, dass sie fremden Spuren gefolgt ist: einmal dem Dasein deutscher Soldaten in französischen Lagern und einmal dem Weg von Philosoph Walter Benjamin in den Pyrenäen.

Biografische Recherchen sind das allemal, aber dennoch wirken sie im Gegensatz zu den anderen Arbeiten weniger emphatisch.

Das zeigt sich auch gerade in der oberen Etage, wo Donath mit einer Fotoserie ein Projekt dokumentiert, das berührt. Die Dresdenerin pflegt in Ústí nad Labem in Tschechien das Grab einer deutsch-tschechischen Familie, die sie nie kennengelernt hat. Und Meyer erzählt in einer Installation von der Flucht ihrer Großmutter - wortwörtlich vom Band mit projizierten alten Bildern und schriftlich (in Sütterlin) auf langen Bändern, die über einer Halbkugel mit zig leeren kleinen Fotorahmen baumeln.

(hbm)
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