Neuss Neusser erlebte Terrornacht von Nizza

Neuss · Winfried Dallmann hatte an der Côte d'Azur geschäftlich zu tun. Er war auf dem Weg ins Hotel als der Schrecken die Altstadt erreichte. Er erzählt über 24 Stunden, die er nie vergessen wird und die seinen Blick auf die Welt veränderten.

Nicht schützenfestliche Vorfreude, sondern nachdenkliche Erleichterung diktiert seinen Trinkspruch für die Freunde bei der Bürgerversammlung in der Stadthalle: "Genießt das Bier. Es ist nicht selbstverständlich, dass ich hier stehe." Zog-Zog am Samstag in Neuss. Winfried Dallmann (68) ist dabei. 24 Stunden zuvor war er aus Nizza zurückgekehrt; 48 Stunden zuvor war er in der südfranzösischen Stadt unterwegs, als ein Attentäter auf seiner nächtlichen Amokfahrt mit einem schweren Lastwagen mehr als 80 Menschen auf eben jener Promenade in den Tod riss, auf der er keine zwei Stunden zuvor flaniert war.

Kein Zweifel. Wenn er müsste, würde er sofort wieder nach Nizza fliegen. "Ich bin Realist", sagt Winfried Dallmann (68), "es ist der Zufall des Lebens, der dich einen Zug oder ein Flugzeug früher oder später nehmen lässt." Auf jeden Fall nahm Winfried Dallmann am Donnerstagabend in Nizza den "richtigen Zug" - im konkreten Fall ein Taxi. Auf der Fahrt zurück ins Hotel brach in den engen Gassen der Altstadt das Chaos aus, das der Todesfahrer mit seiner mörderischen Hatz ausgelöst hatte. Blaulicht, Sirenen, rufende und rennende Menschen - Krankenwagen, Polizei, Feuerwehr. "Wir konnten uns nicht erklären, warum dieses unendliche Konzert der Sirenen ausgebrochen war", sagt Dallmann. Auch der Taxifahrer habe keine Antwort gewusst. Sie seien nur froh gewesen, dass sie letztlich unbedrängt die Innenstadt verlassen konnten, um unbehelligt das Hotel am Flughafen zu erreichen.

Erst dort begriff der Neusser, dass er den Schrecken einer Terrornacht passiert hatte. Bis tief in die Nacht verfolgte er in der Bar die Nachrichten im Fernseher. "Es herrschte eine unwirkliche, bedrückende Stimmung im Hotel", sagt Dallmann. Nur der Fernseher lief, im ganzen Haus sei die Musik ausgeschaltet worden, die Menschen nippten schweigend an ihrem Drink. Erst spät habe er sich aufgewühlt aufs Bett in seinem Zimmer gelegt.

Schlaflos in Nizza endete für Winfried Dallmann ein Abend, der so unbeschwert begonnen hatte. Am Tag vor seinem geschäftlichen Termin angereist, sei er zur Promenade gefahren, um dort den Nationalfeiertag zu erleben. Fröhliche Menschen habe er genossen, die feierten. Dazu habe er sich den Korso der alten und neuen Fahrzeuge von Polizei, Feuerwehr und Militär angesehen. Er glaubte die Seelenschwingungen aufzunehmen, die Freude der Franzosen über die Errungenschaften der Demokratie, die mit dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 ihren Anfang nahmen. Auf das Feuerwerk habe er verzichten wollen, darum sei er weiter zum Hafen spaziert, wo er auch noch ein Terrassen-Bier getrunken habe.

Nur 24 Stunden war Winfried Dallmann in Nizza, 24 Stunden, die ihn verändert haben. Er ist nicht mehr der, der er war, als er am Donnerstag an die Côte d'Azur flog. Nie war er dem Schrecken so nah; seine Wertekoordinaten haben sich verschoben und er fragt: "Was sind wir bereit zu ändern, um das Europäische Haus zu sichern und für künftige Generationen zu sichern?" Rezepte hat auch Dallmann nicht. Ihm bleibt nur die Gewissheit: "Den 14. Juli 2016 werde ich nie vergessen."

(-lue)
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