Neuss Oh Fortuna!

Neuss · Der Mensch hofft auf Glück im Leben - zu allen Zeiten. Unsere heutige Ausgabe widmet sich diesem Gefühl. Schon im römischen Novaesium gab es dafür Bilder.

Neuss: Oh Fortuna!
Foto: Berns Lothar

Das Glück - liegt in der Neusser Erde. Zumindest Symbolfiguren für dieses nicht zu fassende, aber von allen Menschen angestrebte Gefühl hat es schon vor Jahrhunderten gegeben, manche wurden bereits gefunden (oder Reste davon) und haben Museumsreife erlangt. Wie die Fortuna mit dem Füllhorn, die irgendwann zwischen Ende des ersten Jahrhunderts und der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach Christus in Ton gegossen und in Norf auf einem Golfplatz in einem Brandgrab gefunden wurde.

Die "Verehrung von personifizierten Tugenden", wie es der Archäologe Carl Pause vom Clemens-Sels-Museum formuliert, gehörte schon immer zur menschlichen Kultur: "In der germanisch-gallischen Religion genauso wie in der römischen", sagt er, "allerdings manifestiert sich das in unserer Region auffallend viel in weiblichen Figuren." Und er zählt neben Fortuna natürlich die Venus auf, aber auch die "Matres" - Matronen, die die wie Fortuna häufig mit dem Füllhorn ausgestattet wurden.

Für alle Figuren gibt es Beispiele im Museum, von der Fortuna wurden in Neuss bisher vier Versionen gefunden, die um die 15 Zentimeter groß sind. In Gnadental zum Beispiel eine Kalkstein-Version von einer stehenden Fortuna in einer stilisierten Nische (1. bis 3. Jahrhundert n. Chr.), die in den 1960er Jahren im Bereich der einstigen römischen Zivilsiedlung am Legionslager Novaesium gefunden wurde - wie so oft zufällig beim Erdaushub auf einer Baustelle. Bauarbeiter fanden auch eine weitere Fortuna auf dem Büchel: Sie sitzt auf einem Thron, trägt gleich zwei Füllhorner, hat aber keinen Kopf mehr (drittes Viertel/2. Jahrhundert n. Chr). Der Finder, so weiß es Pause, ergänzte Fortunas Haupt aus Gips, aber der wurde später wieder entfernt. Die vierte Neusser Fortuna ging im Zweiten Weltkrieg verloren, aber weil sie im Museum inventarisiert wurde, weiß Pause, dass sie aus Ton war, Strahlenkrone, Füllhorn und Steuerrad trug und aus dem vierten Viertel des ersten Jahrhundert bis erste Hälfte 2. Jahrhundert n. Chr. stammte.

"Eigentlich sind das recht wenig", sagt Pause nachdenklich, "am Niederrhein gibt es mehr Funde." Gleichwohl ist er sicher, dass die Rolle der Gottheit überall die gleiche war: Mit ihrer Hilfe wollte sich man des Lebens, des Reichtums versichern - der damals wie auch noch Jahrhunderte später vor allem Nahrung meinte.

"Vorbild für das Füllhorn war die Kiepe, die schon in der Antike für die Weinlese eingesetzt wurde", erklärt Pause, ein Sinnbild also für Überfluss und Wohlergehen, das sich auch auf vielen Reliefs in Niedergermanien findet. Denn Leben in der Antike und auch in späteren Jahrhunderten hieß vor allem: genug zu essen zu haben. Es brauchte nur einen zu trockenen Sommer oder ein viel zu nasses Frühjahr zu geben, und schon gab es Hungersnöte, denn die Menschen aßen, was das Land ihnen gab.

Dass es auch damals schon ein Gefälle zwischen Arm und Reich gab, lässt sich kaum bezweifeln, aber an das Glück wollte jeder glauben als "an eine Kunst, die von einer Gottheit verliehen wird", erklärt Pause, "das half auch dabei, zu erklären, warum es dem einen gut und dem anderen schlecht geht". Dieser Glaube wurde sichtbar in der Fortuna-Figur, je nach Stand war nur das Material unterschiedlich, aus billiger Keramik oder teuerer Bronze. Fortuna wurde aber noch mehr zugeschrieben - Schutz. Was Darstellungen mit Steuerruder nahelegen: "Es symbolisiert die Lenkung des Schicksals." Phallusartige Amulette, die römische Soldaten häufig ans Pferdegeschirr anbanden, haben eine ähnliche Funktion. "Mit Fruchtbarkeit haben sie nichts zu tun", sagt Pause, "sondern stehen für Kraft und Stärke." Auch dahinter steckt wie bei Fortuna-Figuren die Absicht, für immaterielle Werte sichtbare Symbole zu schaffen.

In den Interpretationen von Pause und seinen Kollegen stecken allerdings viele Mutmaßungen, denn schriftliche Überlieferungen existieren selten, zumeist müssen allein die Funde erzählen. Aber Pause ist sich sicher, dass der Mensch in der Römerzeit wie später auch im Christentum demselben Mechanismus unterliegt: "Es ist eine Grundkonstante des menschlichen Verhaltens, sich des Glücks und des Schutzes zu versichern. Man denke nur an die Christopherusplakette oder an die Pilgerfahrten." Helga Bittner

(NGZ)
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