Neuss Rasterfahndung im Schrebergarten

Neuss · In die Zeit des sogenannten Deutschen Herbstes führt die erste Produktion des Theaters am Schlachthof. "Zoff am Jägerzaun" spielt im Jahr 1977 und wurde von TaS-Chef Markus Andrae geschrieben und inszeniert.

 Studentin Susi (2.v.l) wird als Sympathisantin der RAF verdächtig und schlüpft bei den Eltern in der Gartenkolonie unter.

Studentin Susi (2.v.l) wird als Sympathisantin der RAF verdächtig und schlüpft bei den Eltern in der Gartenkolonie unter.

Foto: Jagna Witkowski

Nicht ganz korrekt ist der Untertitel der neuen Produktion "Zoff am Jägerzaun" im Theater am Schlachthof. Dort heißt es, dass das Stück zwischen "Rosenbeet und Rasterfahndung" spielt. Genauer wäre es, die dornigen Blumen durch Kürbisse zu ersetzen. Denn um die geht es zunächst mal in einer Laubenkolonie, um den jährlichen Wettbewerb nämlich, "wer den Größten hat". Das mit der Rasterfahndung stimmt jedoch, denn Autor und Regisseur Markus Andrae verlegt die Handlung ins Jahr 1977.

Ganz Deutschland ist auf dem Höhepunkt der RAF-Hysterie. Auch in einem niederrheinischen Schrebergarten wird jeden Abend der Fernseher eingeschaltet, und Tagesschau-Sprecher Karlheinz Köpcke erzählt der Nation, was traurige Sache ist. Dass man nämlich den Schleyer entführt hat und dazu gleich ein ganzes Flugzeug.

Just in diesen Tagen will die Studentin Susi (Franka von Werden) in der Laube ihrer Eltern unterkriechen, denn sie wird als Sympathisantin verdächtigt. Herr Röder, der Nachbar (Daniel Cerman) und als ehemaliger Kripomann frühzeitig "mit Rücken" aus dem Dienst geschieden, ist sofort misstrauisch. Als sich dann noch die Staatsschützerin Gisela (Stefanie Otten) in einer Bretterbude nebenan einmietet, wird aus dem friedlichen Wettbewerb um Kürbisse eine Kleingarten-Staatsaffäre.

Alle fünf Rollen des gut zweistündigen Spielvergnügens sind hervorragend besetzt. Susis Eltern, lebensecht auf die Bühne gebracht von Karolin Stern und Tim Fleischer, kommen als nette Eheleute aus einer Zeit, in der die Frauen für beinahe alle wichtigen Dinge ihren Mann um Erlaubnis bitten mussten. Für Bankgeschäfte beispielsweise, oder wenn man einen kleinen Bioladen eröffnen will. Es waren tatsächlich die Jahre, in denen "biologisch" vom Fremd- zum Kosewort heranwuchs. Auch wenn die Fernsehwerbung, im TaS immer wieder unterhaltsam eingeblendet, noch eine andere heile Welt suggerierte ("An meinen Körper lasse ich nur Wasser und CD") oder die Lieblingssendung der Deutschen noch "Der siebte Sinn" hieß. Doch neue Zeiten bahnten sich an. Elvis war gerade von der Erde in den Hüftschwunghimmel aufgestiegen. Und zu den linken Demonstranten gegen Kalkar gesellten sich auch die ersten kleinbürgerlichen Spießer.

Im Theater am Schlachthof ist der Blick zurück auf den "Deutschen Herbst" eine genau recherchierte, bissig-amüsante Studie der Zusammenhänge von großer und kleiner Welt. Die älteren Zuschauer werden feststellen, dass sie Zeitzeugen einer nationalen Erschütterung waren, die das Land grundlegend veränderte. Und zusammen mit den Jüngeren können sie diskutieren, warum der Terrorismus von heute ganz anderer Natur ist.

Markus Andrae nennt sein Stück eine "Dramödie". Nur wenige Buchstaben in der Gattung trennen also den Jux vom Terror. So ist es auch mit dem letzten Satz des Abends, einem echten Knaller. Begeisterte Zuschauer spendeten lange Applaus.

(NGZ)
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