Esma Cakir-Ceylan Rechtsanwältin fordert mehr Schutz für Frauen

Neuss · Die Neusser Anwältin Esma Cakir-Ceylan hat unter anderem Reyhan C. vertreten, die im Auftrag ihres Ex-Freundes mit Säure verätzt wurde.

 Anwältin Esma Cakir-Ceylan ist von dem milden Urteil für den Täter, der die junge Hildenerin Reyhan C. schwer verletzt hat, enttäuscht.

Anwältin Esma Cakir-Ceylan ist von dem milden Urteil für den Täter, der die junge Hildenerin Reyhan C. schwer verletzt hat, enttäuscht.

Foto: sug/privat

Die Frauen sind emanzipiert, heißt es. Wozu braucht man heute noch einen internationalen Frauentag?

Cakir-Ceylan Frauen können offener über die Probleme und ihre Missstände sprechen, weil sie emanzipierter sind als früher. Sie sind aber auch in Deutschland nicht gleichberechtigt, weder im sozialen Leben noch im Arbeitsleben. Nach der aktuellen europäischen Studie sind 35 Prozent der Frauen in Deutschland von physischer oder sexueller Gewalt betroffen. Im Arbeitsleben entscheiden sich Frauen aus Not für rollengerechte Berufe, in denen sie fast ein Viertel weniger verdienen als Männer. Im Alter sind Frauen eher von Armut betroffen. An Tagen wie dem internationalen Frauentag müssen wir auf diese Missstände aufmerksam machen.

Wie ist es um die Neusser Frauen, insbesondere Zuwanderinnen, bestellt, auch im Vergleich beispielsweise zu Düsseldorf?

Cakir-Ceylan Die erwähnten Punkte treffen auch auf die Neusser Frauen und auf die Migrantinnen insgesamt zu, sowohl in Düsseldorf als auch in Neuss. Bei den Migrantinnen treten Schwierigkeiten wie Fremdbefinden und Sprachdefizite hinzu. Migrantinnen arbeiten häufiger in Minijobs, in denen sie mit vier bis sechs Euro Lohn die Stunde ausgebeutet werden. Akademische Migrantinnen sind benachteiligt, weil die ausländischen Studienabschlüsse hier nicht anerkannt werden und sie ihren Beruf nicht ausüben können.

Als Anwältin vertreten Sie viele Frauen. Lassen sich die Ergebnisse der erwähnten Studie, dass jede dritte Frau schon Gewalt erlitten hat, auch auf Neuss übertragen?

Cakir-Ceylan Ja. Wir arbeiten in der anwaltlichen Tätigkeit leider sehr viel mit gewaltbetroffen Frauen. Wir haben sowohl in Düsseldorf als auch in Neuss die Erfahrung gemacht, dass gebildete und gut situierte Menschen Täter von häuslicher Gewalt sein können. Die Untersuchung bestätigt, dass Gewalt nicht ausschließlich eine Schichten- oder Bildungsfrage ist.

Unter Ihren Mandantinnen befindet sich die Hildenerin Reyhan C., die vor rund einem Jahr im Auftrag ihres Ex-Freundes mit Säure verätzt wurde. Wie geht es ihr mittlerweile?

Cakir-Ceylan Das Leben meiner Mandantin Reyhan hat sich nach dem Säureanschlag verändert, sowohl im sozialen Leben als auch in ihrem beruflichen Werdegang. Sie ist eine sehr tapfere junge Frau, leidet aber natürlich unter den gesundheitlichen Einschränkungen und den optisch sichtbaren Narben. Der Täter hatte Revision gegen das Urteil eingelegt. Wir haben vor einigen Tagen die Nachricht vom Bundesgerichtshof erhalten, dass die Revision zurück genommen wurde. Jetzt ist das Urteil rechtskräftig.

Reichen die deutschen Gesetze aus, um Frauen wie Reyhan C. zu Gerechtigkeit zu verhelfen?

Cakir-Ceylan Ich denke, dass unsere Gesetze leider nicht ausreichend sind. Sowohl das Gewaltschutzgesetz als auch der Stalking-Paragraph im Strafgesetz sind defizitär und bereiten in der Rechtsanwendung praktische Probleme. Reyhan hatte zuvor eine Gewaltschutzverfügung erwirkt. Trotzdem hatte sie keine Ruhe vor dem Täter, was den Ermittlungsbehörden auch bekannt war. Ich bedauere sagen zu müssen, dass die Ermittlungsbehörden in Reyhans Fall versagt haben. Sie fühlte sie sich von der Polizei nicht ernst genommen. Im Vergleich zu den bleibenden Schäden meiner Mandantin finden wir das Urteil von fünf Jahren und sieben Monaten und drei Jahren und sechs Monaten für die beiden Täter nicht gerecht.

Was könnten auch die Politiker in Neuss und im Rhein-Kreis tun, um die Lage für Frauen weiter zu verbessern?

Cakir-Ceylan Die Gesetzgebung muss sich hinsichtlich der Arbeitsmarktsituation und des Gewaltschutzgesetztes ändern. Die hiesigen Politiker können darauf hinarbeiten, dass sich die Wahrnehmung in Neuss ändert und dass Rollenbilder abgebaut werden. Sie können darauf einwirken, dass gewaltbetroffene Frauen ernster genommen werden und Schutzeinrichtungen gut funktionieren.

Wo müssten Frauen selbst noch stärker ihre Interessen vertreten?

Cakir-Ceylan In meiner Eigenschaft als Vorsitzende des Migrantinnenvereins Düsseldorf und Delegierte für unseren Bundesverband im Deutschen Frauenrat muss ich sagen, dass sowohl die Migrantinnen, insbesondere aber auch die deutschen Frauenorganisationen ihre Interessen sehr stark vertreten. Eigentlich muss lediglich mehr Gehör verschafft werden. Frauenpolitik muss den gleichen Rang genießen wie andere politischen Felder. Schließlich betrifft sie die Hälfte der Bevölkerung.

Die Frau gehört an den Herd, hieß es früher. Muss die moderne Frau noch kochen können?

Cakir-Ceylan In einer Familie sollen alle Mitglieder die Aufgaben übernehmen, die sie gerne übernehmen möchten. Sie sollen diese Aufgaben nicht übernehmen, weil eine althergebrachte Rollenerwartung ihnen diese Aufgabe auferlegt.

SUSANNE GENATH STELLTE DIE FRAGEN

(NGZ)
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