Neuss Schützen sind in Bonn museumsreif

Neuss · Der Ehrenmajor der Neusser Grenadiere hat Leihgaben zur Sonderausstellung "Mein Verein" im "Haus der Geschichte" beigesteuert.

 Angela Stirken stammt aus Neuss und gehört zu den Ausstellungsmachern.

Angela Stirken stammt aus Neuss und gehört zu den Ausstellungsmachern.

Foto: Christoph Kleinau

Den schönsten Fund machte Angela Stirken im Partykeller von Achim Tilmes. Um seinen Königsorden, die der Ehrenmajor der Neusser Grenadiere seit 1967 verliehen bekommen hat, ein Schubladendasein zu ersparen, hatte Tilmes sie auf einer Tafel drapiert und ihnen einen Ehrenplatz in einem Raum gegeben, "den man ja eigentlich nicht mehr benutzt". Dort aber stieß nun Stirken auf diese Sammlung, die für sie förmlich greifbar macht, wie Netzwerke entstehen und gepflegt werden. Für sie ein Beispiel dafür, was Vereine leisten und wie sie funktionieren - und gerade deshalb wollte sie die Ordenstafel als Blickfang für die Sonderausstellung "Mein Verein" haben. So kam sie ins Bonner Museum "Haus der Geschichte".

Achim Tilmes (69) ist der größte Leihgeber für das Kabinett, das in der Ausstellung dem Schützenbrauchtum gewidmet ist. So wird für die Besucher der Sonderausstellung das Thema Bürgerschützen gleichgesetzt mit dem Neusser Grenadierkorps von 1823, während die katholisch-konfessionell geprägten Bruderschaften weniger stark fokussiert präsent sind: Über dem Eingang schwebt ein imposanter Adler, der der Vogelstange im sauerländischen Siedlinghausen "entkommen" sein muss und nun in der Bundesgeschäftsstelle der Bruderschaften in Leverkusen zuhause ist. In einer immer wieder gezeigten Filmcollage kommt - zwischen dem Böllern und dem Aufmarsch zur Parade - Horst Thoren zu Wort, der aus Korschenbroich stammende Bezirksbundesmeister für Mönchengladbach. Und in einer Vitrine wird nicht zuletzt das Banner des Bundes der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften ausgestellt, das der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer im Jahr 1953 stiftete. Darauf die drei Kernbegriffe des Schützenwesens: Glaube. Sitte. Heimat.

 Das Titelbild der rheinischen Landeszeitung zur Neusser Kirmes inszeniert die Entwicklung des Schützenwesens seit dem Mittelalter - und krönt diese mit dem Hakenkreuz, um sie zu okkupieren

Das Titelbild der rheinischen Landeszeitung zur Neusser Kirmes inszeniert die Entwicklung des Schützenwesens seit dem Mittelalter - und krönt diese mit dem Hakenkreuz, um sie zu okkupieren

Foto: -nau (4), Stadtarchiv (1), Rheinisches Schützenmuseum (2)

Was der Besucher damit im einzelnen verbindet, ist auch für die Macher dieser Sonderausstellung interessant. "Diskutieren Sie mit", fordert der Schriftzug auf einem Bildschirm auf, auf dem man durch Antippen zwischen vorgeschlagenen Thesen für jeden dieser Begriffe wählen kann. Die Resultate werden aufaddiert und lassen Mehrheits- und Minderheitenmeinung schnell deutlich werden. Die Tagesergebnisse würden aber auch gespeichert und zu einer Langzeitbewertung zusammengefügt, sagt Stirken.

 ...Hermann Wilhelm Thywissen machten Politik-Karriere.

...Hermann Wilhelm Thywissen machten Politik-Karriere.

Foto: Christoph Kleinau

Diese Aufforderung zum Mitmachen ist ein Element in einer inszenierten Ausstellung, die interaktiv sein und ein sinnliches Erlebnis vermitteln will. "Die Ausstellung war erst viel objektgesättigter", sagt Stirken, doch dann musste reduziert werden. Denn die Ausstellungsfläche ist winzig im Vergleich zu dem Kosmos, den das "Haus der Geschichte" ausleuchten will: das deutsche Vereinswesen.

 Achim Tilmes will mit seinem Schützenzug wiederkommen. Beispiel von Vereins-Networking: Herbert Napp und... Achim Tilmes will mit seinem Schützenzug wiederkommen. Beispiel von Vereins-Networking: Herbert Napp und...

Achim Tilmes will mit seinem Schützenzug wiederkommen. Beispiel von Vereins-Networking: Herbert Napp und... Achim Tilmes will mit seinem Schützenzug wiederkommen. Beispiel von Vereins-Networking: Herbert Napp und...

Foto: Christoph Kleinau

"Der Verein ist nach wie vor die beliebteste Rechtsform für bürgerschaftliches Engagement", sagt Stirken, denn sie biete finanzielle Vorteile (Stichwort: Spendenquittung) und zugleich rechtliche Sicherheit. Bundesweit zählen die Vereinsregister mehr als 600.000 Einträge; und rund 44 Prozent der Deutschen gehören mindestens einem Verein an.

 Hinter Glas: Cut, Zylinder und Degen aus dem Haus Tilmes.

Hinter Glas: Cut, Zylinder und Degen aus dem Haus Tilmes.

Foto: Christoph Kleinau

Von einem Vereinssterben könne also nicht gesprochen werden, hält Holger Krimmer von der Gemeinschaftsinitiative "Zivilgesellschaft in Zahlen" des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft in einem Beitrag zu Ausstellung fest. Er macht aber einen langsamen Strukturwandel aus: Waren Vereine früher geselligkeitsorientiert, werde bei der Gemeinschaftsbildung zunehmend wichtiger, dass der Verein, so Krimmer, "eine gesellschaftliche oder politische Mission und Zielsetzung" verfolgt. Dafür stehen Bürgerinitiativen und projektbezogene Fördervereine wie der für die Wiederrichtung der Dresdner Frauenkirche. Er wurde am 14. März 1990 als Verein mit der Nummer eins eingetragen - das Originaldokument zeigt die Ausstellung -, nachdem die (noch SED-dominierte) Volkskammer erst im Februar wieder ein Vereinsgesetz erlassen und Gründungen möglich gemacht hatte. Beispiele für solche Vereinstypen sind aber auch Trägervereine von Kitas oder die "Tafeln", die durch die Ausgabe von Lebensmitteln Aufgaben der Daseinsvorsorge übernehmen und denen in der Ausstellung ebenfalls Raum gegeben wird. "Vereinswesen und Zivilgesellschaft als Bereiche gesellschaftlicher Selbstorganisation sind damit originärer Ausdruck tagtäglich gelebter Demokratie", folgert Krimmer.

 Vom Partykeller in die Ausstellung: die Ordenstafel.

Vom Partykeller in die Ausstellung: die Ordenstafel.

Foto: Christoph Kleinau

Das erklärt, warum es andererseits ein Grundzug jeder Diktatur ist, Vereine kritisch zu sehen und in ihnen eine Brutstätte der Opposition zu wittern. Auch die Schützen erlebten das in den Zeiten des Nationalsozialismus. Wie zum Beleg dafür zeigt das "Haus der Geschichte" die letzte Ausgabe der Zeitschrift "Der Schützenbruder", die von dem im März 1933 "wegen oppositionellen Verhaltens" verbotenen Dachverband der Schützenbruderschaften herausgegeben wurde.

Die Neusser Bürgerschützen blieben zwar, mussten aber erleben, wie ihr Präsident Peter Marx und das Komitee im August 1937 vom damaligen NS-Oberbürgermeister Wilhelm Gilberg aus dem Amt gejagt wurden. Auch dieses Dokument der Gleichschaltung ist ausgestellt. Aber die Opposition war damit nicht ausgemerzt, wie Achim Tilmes auch am Beispiel des Grenadierkorps zu berichten weiß. Vier Züge, die aus der Kolpingsfamilie beziehungsweise einem Kirchenchor entstanden waren, durften ihre Namen nicht mehr führen. Sie wurden zum Zug "Ut Frack", der 1968 in dem von Tilmes mitgegründeten Zug "Mer donnt möt ut Frack" aufging, oder führten die Namen "Königsgrenadiere" oder "Treu zum alde Nüss". Der Zug Münsterchor, der diesen Namen nach dem Krieg wieder annahm, klebte zum Fackelzug nur die Zugnummer auf die Vortragefackel - "und durch das Papier schimmerte der Name Münsterchor durch", sagt Tilmes. "Das war reine Opposition."

Die Familie des Grenadiermajors von 1996 bis 2005 war schon vor diesen dunklen Jahren aktiv - und danach wieder. Tilmes Großvater Heinrich war von 1920 bis 1925 Grenadiermajor, sein Onkel Josef von 1949 bis 1960 sogar Oberst, dessen gleichnamiger Sohn wiederum Grenadiermajor von 1966 bis 1977. Sie alle kamen hoch zu Ross auf den Markt, sie alle trugen denselben Degen. Ein besonderes Erbstück, das Achim Tilmes - hoch versichert - der Ausstellung ebenso zur Verfügung stellte wie eine Grenadieruniform und ein Fotoalbum. Das zeigt den Jungschützen 1967 in seinem ersten Jahr - als Jäger. Ein einmaliger Ausflug zum Schwesterkorps.

Andere Exponate steuerte das Rheinische Schützenmuseum bei. Dort wird das Schützenplakat verwahrt und nun ausgestellt, das 1949 zur ersten Nachkriegskirmes mit vollständigem Programm einlud. Aus dem Museum stammen aber auch drei Königsporträts, die Hermann Wilhelm Thywissen, Peter Wilhelm Kallen und Herbert Napp zeigen. Was die drei eint: Sie waren Schützenkönig und später Bürgermeister beziehungsweise Oberbürgermeister von Neuss. Die Botschaft fasst Angela Stirken so zusammen: "Wer in Neuss Schützenkönig wird, hat ein Netzwerk um sich, das ihn auch politisch fördern kann."

(-nau)
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