Neuss Selbstständig - trotz Schizophrenie

Neuss · Christof ist 52 Jahre alt und Schizophreniepatient. Soeben ist er von einer Tour auf seinem selbst zusammengebauten Motorroller durch die Eifel zurückgekehrt. Dabei hat er ein Videotagebuch geführt, das ab heute online gestellt wird.

 Über seinen selbst zusammengebauten Motorroller sagt Christof (52), der 1990 die niederschmetternde Diagnose Schizophrenie erhielt: "Er ist wie ich - unperfekt."

Über seinen selbst zusammengebauten Motorroller sagt Christof (52), der 1990 die niederschmetternde Diagnose Schizophrenie erhielt: "Er ist wie ich - unperfekt."

Foto: Andreas Woitschützke

Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Apathie, sozialer Rückzug - die Symptome einer Schizophrenie sind sehr unterschiedlich. Teilhabe am normalen Leben ist mit dieser meist chronisch verlaufenden Erkrankung kaum möglich. Doch es kann auch anders sein, wie das Schicksal von Christof zeigt. Der 52-Jährige, dessen Schizophrenie 1990 diagnostiziert wurde, ist soeben zurückgekehrt von einer Tour auf seinem selbst zusammengebauten Motorroller durch die Eifel. Dabei hat er ein Videotagebuch geführt, das ab heute online gestellt wird. Denn der Kölner unterstützt die Initiative "Mehr leben im Leben", der Patienten und Ärzte Gesicht und Stimme geben, um Schwerstkranken Mut zu machen.

"Wenn es nur zwei von 1000 Menschen so schaffen können wie ich, hat es sich gelohnt", sagt Christof, der gestern in die deutsche Zentrale der Janssen-Cilag GmbH nach Neuss gekommen war. Die Pharmasparte des Unternehmens Johnson&Johnson ist Initiator der Aktion "Mehr leben im Leben".

"Freiheit mit Schizophrenie - Mit Vollgas durch die Eifel" lautet das Videotagebuch von Christof, das er mit selbstgebautem Equipment während seiner einwöchigen Tour gedreht hat. Die Fröhlichkeit und der Lebensmut, aber auch die Nachdenklichkeit und Reflexion über die Schizophrenie, die ihn sein Leben lang begleiten wird, sind beeindruckend. Kein Drehbuch, keine PR-Agentur haben seine Aufsager in die Kamera vorgegeben. Umso stärker wirken Sätze wie dieser, als er seinen Motorroller vorstellt: "Mein Roller ist wie ich - unperfekt."

Dass er jemals die Abenteuerlust und den Hunger aufs Leben wieder entdecken würde, schien Mitte der 80er Jahre noch undenkbar. In dieser Zeit zeigten sich die ersten Symptome seiner Krankheit. Der gelernte Feinmechaniker, der anschließend sein Fachabitur sowie den Zivildienst und später als Technischer Zeichner gearbeitet hatte, stürzte mit 26 Jahren in eine schwere Krise. "Die Firma ging in Konkurs, ich verlor meinen Job und meine Freundin hatte mich betrogen", erinnert er sich. Christof wird depressiv und entwickelt eine Psychose. Irgendwann ist der zwar religiös - aber nie extrem - erzogene junge Mann permanent von Sühne, Askese- und Zwangsgedanken bestimmt. Religiöse Wahnvorstellungen sind die Folge.

Ein dunkler Himmel, schwarz gekleidete Menschen oder Autokennzeichen mit dreifacher Sechs werden zu bedrohlichen Zeichen, die ihm Angst machen. Der Gang zum Arbeitsamt, Kontakt mit Fremden - vieles wird von ihm als Prüfung zwischen Himmel und Hölle gedeutet. "Keiner hat mich mehr verstanden", sagt er. In der normalen Welt kommt er nicht mehr klar, zieht sich zurück, lebt asketisch, verkauft seinen Roller, zerstört seine Bilder, die er als Künstler gemalt hat. Als er eines Nachts heftige Schmerzen im Hinterkopf hat, fährt er zur Uniklinik. Dort kommt er zunächst in die geschlossene Abteilung, aus der ihn sein Vater kurze Zeit später wieder rausholt. Zahlreiche negative Erfahrungen mit Kliniken und Behandlungsmethoden folgen.

Erst 1991 gibt es den ersten Hoffnungsschimmer. Ein Jahr nach der Diagnose Schizophrenie bekommt er einen Platz in einer Wohn- und Rehabilitationseinrichtung bei Köln. Acht Jahre lang lebt und arbeitet er dort. Die ganzheitliche Behandlung aus Medikamenten sowie Psycho- und Sozialtherapie schlägt an. Zwar meldet sich seine Erkrankung immer wieder zurück, doch er gibt nicht auf. Eltern und Freunde unterstützen ihn und er entdeckt seine künstlerischen und handwerklichen Fähigkeiten wieder.

Mittlerweile lebt er seit über zwölf Jahren wieder selbstständig, arbeitet als Haustechniker in einer sozialen Einrichtung. 2013 startet er erstmals zu einer Tour durch die Eifel. Jetzt hat er sie wiederholt und seine Reise dokumentiert: "Ich freue mich wieder auf das Leben und möchte als Mutmacher für andere meine Geschichte weiter erzählen."

(BroerB)
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