Stadt-Porträt (1) NGZ und Stadtwerke Neuss unterwegs in ... Selikum - ein grünes Kleinod mit vielen Überraschungen

Neuss · Im Stadtkern und ruhig, mit hohem Altersschnitt und reich an Kindern, winzig und ein Künstler-Magnet: Selikum steht für viel Unerwartetes.

NGZ und Stadtwerke Neuss unterwegs in Selikum
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Mit empörtem Schnauben lässt der Ziegenbock das Obststück fallen. Nicht weniger empört hatte der fünf Jahre alte Maximilian auf der anderen Seite des Zauns genau das mit einem beherzten "Aus!" von dem Tier verlangt. Die Eltern des kleinen Ziegenfütterers am Selikumer Kinderbauernhof lachen bei so viel plötzlichem Gehorsam überrascht auf. Familie Plath kommt aus dem Münsterland. Lebte sie selbst in dem Ort, hätten sie vermutlich mit etwas dergleichen gerechnet. Denn Selikum ist ein Ort des Unerwarteten. Auch dieser Titel selbst überrascht an diesem Ort, der Ruhe und Idylle zum Prinzip erhoben zu haben scheint.

Die offensichtlichste Überraschung findet sich in der Geografie des Ortes: Er liegt exakt im Zentrum des Stadtgebiets, wirkt mit seinem vielen Grün aber wie ein Kleinod an der Peripherie der 150 000-Einwohnter-Stadt. Die Jogger sind an diesem Ort der gelebten Entschleunigung langsamer unterwegs, so scheint es, ebenso wie die Autos auf der Durchgangsstraße Nixhütter Weg. Wer nicht in diesem Kleinod der Ruhe wohnt, kommt dorthin, um zu entspannen. Wie Familie Mazen aus Lausanne (Schweiz). Die drei Kinder der Familie Julien (4), Stéphane (2) und Bernadette (7) treiben sich auf dem Weg zum Kinderbauernhof gegenseitig an, sind längst am Tor noch bevor die Eltern in Sichtweite sind. Die weit über die Region hinaus entstandene Strahlkraft des Kinderbauernhofs hat die Mazens nach Selikum gelockt. Dieser Publikumsmagnet sorgt für eine weitere Überraschung: Obwohl Selikum an Bewohnern gemessen einer der ältesten Stadtteile von Neuss ist, tollen stets Kinder auf den Straßen. So viel Strahlkraft wie der Kinderbauernhof hat nur noch der Nixhof: Dort ist der erfolgreichste Voltigierverein — der RSV Grimlinghausen — der Welt zu Hause. Acht Welt- und neun Europameistertiteln im Einzel- und Gruppenvoltigieren hat der Verein geholt.

Die Geschichte der Trainingsstätte dagegen reicht bis ins Mittelalter zurück. So verbindet das kleine Selikum das Junge und Alte, das Historische und das Moderne. Ein Ziel, das auch der Cornelius-Verein um den Vorsitzenden Andreas Kallen neben Nachbarschaftspflege, Sportförderung und den Unterhalt der Cornelius-Kapelle verfolgt und unter anderem mit der Leuchtturmaktion Apppeltaatefest am ersten Septemberwochenende mit Leben füllt.

Jung ist dabei auch der Stadtteil selbst: Der Großteil der Häuser stammt aus den 60er/70er Jahren. Rote, neu errichtete Backsteinhäuser reihen sich an weiße Häuser mit Flachdach. "Ein paar architektonische Sünden gibt's aber auch", sagt Anwohner Horst Meisel, der auf dem Weg zum Altglascontainer mangels Verkehr auf der Straße geht. Er meint das vor mehr als 40 Jahren errichtete Haus Nummer 122 an der Rembrandtstraße. Er nennt es "das "Hochhaus". In Selikum schafft es ein Haus mit nur vier Etagen zu diesem Titel. Weniger fragwürdig erscheint da Selikums Titel als kleines Künstlerdorf. Immer wieder zog und zieht es Künstler in den Ortsteil. Auch wenn etwa das Ehepaar Christiane und Lothar Pues, das auf Gut Selikum langezeit Lesungen und Ausstellungen organisierte, mittlerweile wieder in Essen arbeitet, leben zahlreiche Künstler in Selikum: Heinz Gilges etwa, Michael Kortländer sowie Hans-Peter Menge und Anja Maria Strauß haben sich in dem Ortsteil niedergelassen.

Und auch in der Kunst hat Selikum nicht nur in der Gegenwart etwas zu bieten: Im "Künstlerviertel" zieren nicht nur die Namen Rembrandt, Dürer und Cranach die Straßenschilder, auch nach Gerhard Hoehme (gestorben 1989), selbst Selikumer, ist eine Straße benannt. Die Gerhard-Hoehme-Allee liegt allerdings auf der anderen Seite des Nixhütter Wegs in der Nähe des Kinderbauernhofs. Auch der Kunstweg von Neuss nach Düsseldorf mit Skulpturen des Künstlers Anatol führt durch Selikum. Mängel verkehren die Selikumer meist in Vorteile: Nach dem Abriss des Pastor-Trimborn-Hauses 2010 richteten sie im St. Hubertusstift einen Andachtsraum ein. Dass es seit dem Weggang von Edeka keine Geschäfte im Ort gibt, nehmen sie gelassen und kaufen entweder bei Heike und Stephan Gretzchel in "Stephans Trinkhalle" in der ehemaligen Tankstelle ein oder nehmen den Einkauf als willkommene Möglichkeit, sich zu bewegen: "Mit dem Rad ist man in 20 Minuten in der Innenstadt", sagt Meisel.

Diese Fahrt, ob nun mit Auto, Bus oder Rad nach Reuschenberg oder ins Zentrum, um den Wocheneinkauf zu erledigten, ist allerdings gerade für die älteren Selikumer ein Problem. Daher soll vor Ort ein mobiles Einkaufsangebot etabliert werden. Das zumindest wollen Politiker wie Hartmut Rohmer (SPD) schaffen. Es wäre eine weitere Überraschung in dem kleinen Selikum, wo sogar störrische Ziegen manchmal auf Kommandos hören.

Aktion für unsere Abonnenten: Wer heute ins Café Zimmermann, Nixhütter Weg 135 (am Kinderbauernhof) kommt, erhält gegen Vorlage der PremiumCard kostenlos eine Tasse Kaffee (beschränkt auf eine Tasse je Karte).

(NGZ/url)
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