Feuilleton Sezuan trifft Yin und Yang

Feuilleton · Neuss Schwarze und weiße Platten hat Ming-Ming Yin wie zu einem überdimensionalen Schachbrett zusammengelegt, ein klar strukturiertes, begehbares Feld aus einigen weißen und vielen schwarzen Platten, einige davon mit weißer Kreide übermalt.

Betreten ausdrücklich erwünscht: Am Sonntag wird im Rheinischen Landestheater eine interaktive Ausstellung eröffnet.

Betreten ausdrücklich erwünscht: Am Sonntag wird im Rheinischen Landestheater eine interaktive Ausstellung eröffnet.

Foto: NGZ

Neuss Schwarze und weiße Platten hat Ming-Ming Yin wie zu einem überdimensionalen Schachbrett zusammengelegt, ein klar strukturiertes, begehbares Feld aus einigen weißen und vielen schwarzen Platten, einige davon mit weißer Kreide übermalt.

Wenn ab Sonntag die ersten Betrachter wie lebendige Spielfiguren die interaktive Installation der taiwanesischen Künstlerin betreten - was im Übrigen ausdrücklich erwünscht ist - , werden sie unwillkürlich die Kreide mit ihren Schuhen auf weißen und schwarzen Feldern verteilen, das Dunkle hell, das Helle dunkel färben. Und weil wie im Kinderschiebemosaik eine Platte im Rahmen fehlt, werden die anderen unter den Schritten der Besucher sich hin- und her verschieben. Im Nu wird dann der ursprüngliche Zustand verloren und nicht rekonstruierbar sein, aus hell und dunkel wird einheitliches Grau, das darunter kaum noch erkennen lässt, wo weiß und wo schwarz ist.

Was ist gut, was schlecht? Und wo stehe ich auf diesem beweglichen Grund? Zentrale Fragen des modernen Menschen bringt die Installation von Ming-Ming Yin ebenso spielerisch-leichtfüßig wie prägnant auf den Begriff. Ab Sonntag, 11 Uhr, wird ihr spannendes Werk im Foyer des Schauspielhauses zu sehen (und begehen) sein. Anlässlich der Inszenierung von Bertolt Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" präsentieren das Rheinische Landestheater und die Deutsch-Chinesische Gesellschaft Neuss unter Vorsitz von NGZ-Redaktionsleiter Ludger Baten mit "Sezuan trifft Yin und Yang" eine faszinierende Ausstellung, in der sich Ming-Ming Yin ebenso wie ihr Künstlerkollege I-Shu Chen mit den Grundfragen auseinandersetzt, die Brecht in seinem Stück stellt.

Kann es gut sein, etwas Schlechtes zu tun? Schadet es, gut zu sein? Das sind die Fragen, die die gutherzige Shen Te bei Brecht dazu bewegen, sich ein Alter Ego zu schaffen, ihren Vetter Shui Ta, der ihr Überleben in einer gierigen Welt ermöglicht.

I-Shu Chen, geboren in Taiwan wie Ming-Ming Yin und gemeinsam mit ihr Meisterschüler an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Professor David Rabinowitch, findet für diese Verdoppelung und Gespaltenheit eingängigen Ausdruck mit großformatigen Bildern, die auf den ersten Blick an die in der Psychologie verwendeten Rohrschachtests erinnern: Durch Falten von Papier hat er aus Farbaufträgen symmetrisch-spiegelbildliche Gebilde entstehen lassen.

Indem I-Shu Chen die Seiten kaum merklich und doch mit verschieden dicken Strichen nachzeichnet, entstehen Unterschiede, verschiedene Gewichtungen: So wird die Verdoppelung etwas anderes als bloße Kopie oder exakter Gegensatz, lässt neue Qualitäten entstehen, eröffnet den Blick auf Aspekte, die im Spiegelbild unauffällig blieben. Dabei arbeitet I-Shu Chen vor allem mit traditionellen Motiven der chinesischen Kultur, mit Pflanzen und Tieren, wechselt zwischen Kalligraphie- und Malerpinsel wie zwischen den Kulturen des Ostens und des Westens, in denen er lebt.

"Mit dieser Ausstellung begegnen sich nicht nur darstellende und bildende Kunst, europäische und chinesische Kultur", erklärt RLT-Dramaturgin Freya Paschen, "sondern es begegnet auch das China, das für den Europäer Brecht bloße Projektionsfläche war, dem realen, heutigen China."

(NGZ)
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