Neuss Skelettfund: Rätselhafter Toter am Römerlager

Neuss · Bei Grabungen im römischen Militärlager stießen Archäologen nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche auf Menschenknochen.

 Hermann Loosen hat den Fundort der Leiche kartiert: "Direkt unter dem Pflaster wurde es schon komisch."

Hermann Loosen hat den Fundort der Leiche kartiert: "Direkt unter dem Pflaster wurde es schon komisch."

Foto: woi

An diesen Tatort käme die Polizei zu spät: Das gut erhaltene Skelett, das die Archäologen der Stadt bei Ausgrabungen auf dem Gelände des römischen Militärlagers, dem so genannten Koenen-Lagers, fanden, ist uralt. Dass dieser Mensch eines natürlichen Todes starb, schließt Michael Kaiser aus: "Er könnte das Opfer eines Raubüberfalls sein — oder eines Meuchelmordes", sagt der Grabungsleiter.

Stutzig macht die Archäologen vor allem der Fundort. Nur 40 Zentimeter unter der Oberfläche und "eingetieft in römischen Schutt", wie Kaiser erklärt, glaubt er eher an ein "hastiges Verscharren" als an eine geplante Erdbestattung. Wann das passierte, darüber können die Experten nur Vermutungen anstellen. Denn bei dem Skelett fanden sich keine Grabbeigaben oder andere Dinge, die eine Datierung ermöglicht hätten, sagt Kaiser. Und Parallelfunde, wie man sie aus Gräberfeldern kennt, können auch nicht zur Altersbestimmung des Fundes herangezogen werden.

"Direkt unter dem Pflaster wurde es schon komisch", erinnert sich Hermann Loosen an die Ausgrabung. Weil auf dem Abbruchgrundstück am Fliederweg in so geringem Abstand zur Oberkrume kein Fund erwartet worden war, sollte der Bagger die oberen Schichten abtragen. "Dabei erwischte er den Schädel", sagt Kaiser. Der Kopf ist nun ein Fall für Puzzle-Experten. Loosen bremste den Baggerführer sofort, und so konnte das restliche Skelett unbeschadet geborgen werden.

Der Tote war in Rückenlage begraben worden, den Kopf genau nach Norden. Dem Skelett nach zu urteilen, war der Tote zu Lebzeiten ein zierliches Persönchen. "Luigi", tauften es die Archäologen, weil das persönlicher klingt als nur die Fundnummer — und weil er in unmittelbarer Nähe zum Prätorium gefunden wurde, dem Wohn- und Repäsentationsgebäude des römischen Befehlshabers im Legionslager. Inzwischen trägt der Tote, dessen Einzelteile nun — nummeriert und in Plastiktüten verstaut — auf weitere Untersuchungen warten, einen neuen Namen: Theuderich. Weil er doch eher in fränkischer Zeit lebte und starb.

Die Gebeine waren die eine Überraschung dieser Grabung in Gnadental, aber bei weitem nicht die einzige. Zwischen den Außenmauern des Prätoriums, wie sie bei Ausgrabungen vor über 100 Jahren von Constantin Koenen ermittelt wurden, stießen die Archäologen auf den Boden eines Kellers, der nachträglich in dieses Gebäude eingefügt worden war — oder älter ist. Das Interessante an diesem und anderen Funden sei, so Kaiser, "dass die Ausgrabungen von Koenen nur die letzte Bauphase bis 104 nach Christus dokumentierten." Alles andere sei unerforscht.

Der Fußboden des Kellers, der aus Tuff-Schutt und Stampflehm hergestellt wurde, liegt gleich zweimal vor. Übereinander. "Erdbebensicher", nennt Hermann Loosen diese Konstruktion. "So etwas habe ich in 16 Dienstjahren noch nicht gesehen." Er vermutet, dass der erste Keller aus dem sandigen Untergrund nicht tragfähig genug für das darüber stehende Gebäude war. Außerhalb des Prätoriums wurden auch Reste von Bauten früherer Lagers an dieser Stelle gefunden. Die Außenmauern dieses Gebäudes hatte Koenen in diesem Teil nur vermutet — und als gestrichelte Linie in seine Grabungspläne eingetragen. Diese Linie konnte Loosen nun, über 100 Jahre später, aufgrund neuester Grabungen vervollständigen. Das nannte er wirklich beeindruckend.

(NGZ)
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