Neuss Sprache des Romans ist auch die Botschaft

Neuss · Bodo Kirchhoff las in der Neusser Stadtbibliothek aus seiner Novelle "Widerfahrnis", für die er 2016 den Deutschen Buchpreis erhielt.

 Bodo Kirchhoff sieht sich als Autor, der in seinen Büchern die Sprache der Botschaft unterordnet. NGZ-Foto: Andreas Woitschützke

Bodo Kirchhoff sieht sich als Autor, der in seinen Büchern die Sprache der Botschaft unterordnet. NGZ-Foto: Andreas Woitschützke

Foto: Woitschützke Andreas

Sonne, Liebe, Italien - diese literarischen Zutaten klingen nach leichter Strandlektüre für den Sommerurlaub. Doch Titel und Cover-Gestaltung des preisgekrönten Buches lassen anderes vermuten. Und der Name des Autors natürlich: Bodo Kirchhoff, der 1990 mit "Infanta" seinen Durchbruch feierte und Drehbücher für den "Tatort" verfasste, las jetzt vor einem überwiegend weiblichen Publikum in der Stadtbibliothek einige Passagen seiner Novelle "Widerfahrnis" und stellte sich den Fragen.

Lediglich eine Romanze zweier Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter zu Papier zu bringen, finde er "nicht so interessant", sagt der Schriftsteller über die Grundkonstellation der Geschichte, die sich dann beim Schreiben verselbstständigt hat. Wie meist. "Ich weiß am Anfang eines Buches in der Regel nicht, wohin es läuft", erzählte er. Aber dass die Handlung nicht einfach nur glatt auf ein glückliches Ende zuläuft, versteht sich von selbst, denn: "Ein Schriftsteller interessiert sich mehr für Dinge, die nicht gelingen", sagt der 68-Jährige, "es reizt mich, das - positive - Scheitern zu schildern."

Bodo Kirchhoff stehe schon lange auf ihrer Wunschliste für den "Literarischen Sommer", hatte Christine Breitschopf von der Stadtbibliothek bei der Begrüßung gesagt. Doch für das deutsch-niederländische Literaturfestival, das ab Juli zum 18. Mal stattfindet, steht der in Hamburg geborene und im Schwarzwald aufgewachsene Erzähler nicht zur Verfügung. Ab Juni gibt er zusammen mit seiner Ehefrau den Sommer über in ihrem Haus am Gardasee Kurse für Kreatives Schreiben. Dabei sieht Kirchhoff aus, als sei er gerade von da ins Rheinland gekommen: Hände und das scharf geschnittene Gesicht sind braun gebrannt und bilden einen Kontrast zum seitlich gescheitelten weißen Haar. Er trägt schwarzes Jackett zu dunkelblauem Shirt und dunkler Hose, sitzt aufrecht, hält Körperspannung, während er das Eingangskapitel liest. Er gestikuliert mit den Händen, moduliert mit der Stimme, variiert Rhythmus und Lautstärke, drängt, treibt die Handlung voran. "Ich höre nie auf, an einem Text zu arbeiten", sagt er dazu später.

"Widerfahrnis" - das Wort sucht man im Duden vergebens. "Vor fünf oder sechs Jahren habe ich es von einer Teilnehmerin eines Schreibkurses erstmals gehört und fand gleich, dass das ein wundervoller Titel wäre", erzählt Bodo Kirchhoff, "dann habe ich das Wort erstmal zur Seite gelegt, weil es noch keine Geschichte dazu gab." Erstmal. Dann kam ihm die Grundidee: Der Protagonist, er nennt ihn Reither, ein ehemaliger Kleinverleger, der sich zurückgezogen hat, sitzt zu Hause und bekommt eine Weinflasche nicht auf. "Das war natürlich nicht abendfüllend", merkt Kirchhoff an. Also erklingen Schritte vor der Wohnungstür. Sie gehören zu Leonie Palmer, die einst ein Hutgeschäft führte. Die beiden, "Vertreter zweier untergehender Gewerbe" , machen sich spontan auf den Weg: Der führt sie irgendwie bis nach Italien. Jeder mit seine Vergangenheit im Gepäck. Dort begegnen sie einem jungen Mädchen - ob Flüchtling, lässt der Autor offen -, das allein durch seine Anwesenheit etwas in Gang bringt.

Das Ende wirke, als sei dem Autor nichts mehr eingefallen, kritisiert eine Zuhörerin in der Stadtbibliothek. Das Gegenteil sei der Fall gewesen, er habe sich sehr diszipliniert und aufgehört, obwohl er liebend gern weitergeschrieben hätte, versichert Kirchhoff. "Aber diese Geschichte endet, wie Dinge im Leben auch enden", stellt er klar. Wiederholt darauf angesprochen, welche Botschaft er denn mit der Novelle vermitteln wolle, betont er: "Ich habe keine Botschaft. Die Botschaft ist die Sprache. Sie ist wichtiger als der Inhalt. Ich ordne nicht die Sprache einer Botschaft unter, sondern umgekehrt."

Zum Schluss erzählt er von seinem jüngsten Projekt "Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt" erscheint im Juli und beruht auf einem tatsächlichen Angebot, als sogenannter Edutainer an einer Schiffsreise teilzunehmen, erzählt Kirchhoff, der sich "etwa alle acht Jahre ein Buch gönnt, wo Schreiben Spaß macht". Dieses sei solch ein Buch gewesen. Er habe auf die Einladung hin zwei höfliche Zeilen als Absage verfasst "und dann gedacht: Das kann man auch auf 120 Seiten machen..."

(NGZ)
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