Neuss Staatsbürger zwischen zwei Ländern

Neuss · Sükür Polat will die deutsche Staatsbürgerschaft und dafür den türkischen Pass abgeben. Das tun immer weniger Ausländer.

 "Ich liebe diese Stadt, ich bin stolz auf Neuss, ich bleibe hier", sagt Sükür Polat. Er möchte die deutsche Staatsbürgerschaft.

"Ich liebe diese Stadt, ich bin stolz auf Neuss, ich bleibe hier", sagt Sükür Polat. Er möchte die deutsche Staatsbürgerschaft.

Foto: Andreas Woitschützke

Ob er nach Deutschland möchte - das hat Sükür Polat niemand gefragt. Er war ein Jahr alt, als seine Mutter ihn mit nach Neuss nahm, zu seinem Vater, der als Gastarbeiter auf der Furth in einem Holzhandel arbeitete. Ob er aus Deutschland wieder weg möchte - diese Frage stellt sich für Sükür Polat (36) heute nicht. "Ich liebe diese Stadt, ich bin stolz auf Neuss, ich bleibe hier", sagt er. "Das Einzige, was mich irgendwann zurück in die Türkei bringen könnte, wäre mein Sarg."

Diese Heimat, die Wurzeln seiner Familie, kennt er nur aus dem Urlaub. Seine Heimat, wo die Autos mit einem NE-Kennzeichen fahren, erlebt er jeden Tag. Das will er auch auf Papier festhalten lassen: Sükür Polat will endlich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Wählen gehen, politisch aktiv sein, etwas bewegen können. "Das gehört für mich dazu", sagt der zweifache Vater, der als Techniker bei SCA im Neusser Hafen arbeitet. Heimat ist für ihn auch, was im Ausweis steht.

Dieses Bestreben haben aber immer weniger Ausländer. Die Zahl derer, die die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, ist im vergangenen Jahr drastisch zurückgegangen. 2014 wurden in der Stadt Neuss 370 ausländische Personen eingebürgert, hat das statistische Landesamt it.NRW ermittelt. Im Jahr davor waren es noch 437 gewesen - das entspricht einem Rückgang von 15,3 Prozent. Kreisweit ging die Zahl der Einbürgerungen um 9,4 Prozent auf 736 zurück, und im Land NRW ließen sich insgesamt 27 737 Ausländer einbürgern (minus 6,4 Prozent). Es ist also kein Neusser Phänomen alleine, aber es tritt in der Stadt eben deutlich zutage.

Ozan Erdogan, der Vorsitzende des Integrationsrates, hat dafür auch eine Erklärung. "Wenn man in allen Fällen die doppelte Staatsbürgerschaft zulassen würde, dann würden auch die Einbürgerungszahlen wieder nach oben gehen", sagt der 61-jährige Türke. "Ich kenne sehr viele Neusser mit Migrationshintergrund, in deren Brust zwei Herzen schlagen, die aber kein Stück ihrer Identität aufgeben wollen." Zwei Herzen in einer Brust, zwei Pässe in der Tasche, das ist in Deutschland aber nur jungen Migrantenkindern gestattet. Wer vor 1990 geboren ist und nicht bereits zwei Pässe hat, kann sie auch jetzt nicht mehr bekommen, so die jüngste Gesetzesänderung vom Dezember 2014. Erdogan findet das nicht korrekt. "Es sollte nur zählen, ob sich jemand wirklich integriert hat", sagt er. "Sonst meint man es nicht ehrlich mit der Integration."

Ändern wird sich das aber wohl in naher Zukunft nicht. Ausländer wie Sükür Polat, der im Vorstand des Vereins Raum der Kulturen aktiv ist, werden wohl weiter wählen müssen. Dass sich immer weniger für den deutschen Pass entscheiden, hat zumindest bei den Türken in Neuss seiner Ansicht nach mehrere Gründe: "In der Türkei gibt es scheinbar einen Aufschwung, und andersherum fühlt man sich hier vielleicht nicht so wohl, wenn Pegida demonstriert und Hakenkreuze an die Moschee geschmiert werden. Das sind Dinge, die ein Gesamtbild ergeben können, so dass manche zweifeln."

Zweifeln an seiner Heimat kommt für ihn nicht infrage. Die Fotos für den deutschen Pass sind schon gemacht.

(NGZ)
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