Neuss Vergnüglicher Streit über neue Literatur

Neuss · Die neue Reihe "Aufgelesen - ausgelesen" der Stadtbibliothek ist mit einer kompetenten Teilnehmerrunde gestartet.

 Das erste literarische Quartett von Neuss: Alwin Müller-Jerina, Ursel Hebben, Reinar Ortmann und Markus Andrae (v.l.).

Das erste literarische Quartett von Neuss: Alwin Müller-Jerina, Ursel Hebben, Reinar Ortmann und Markus Andrae (v.l.).

Foto: Andreas Woitschützke

Für den Leiter der Neusser Stadtbibliothek soll die Frankfurter Buchmesse auch Spuren in seiner Stadt hinterlassen. Ähnlich wie in der früheren TV-Sendung "Das literarische Quartett" versammelte Alwin Müller-Jerina in seinem Haus vier Experten, die über zwei prominente Neuerscheinungen diskutierten. Neben ihm selbst waren dies Ursel Hebben von der Volkshochschule, Markus Andrae vom Theater am Schlachthof und der Chefdramaturg des Rheinischen Landestheaters, Reinar Ortmann.

Bei den Büchern ging es um den neuen Roman "Du sagst es" der niederländischen Autorin Connie Palmen und um "Widerfahrnis" des Buchpreisträgers Bodo Kirchhoff. Müller-Jerinas Hoffnung, dass man sich hierüber trefflich streiten möge, ging schnell in Erfüllung.

Palmens Buch handelt von zwei Größen der Literaturgeschichte, die ein Ehepaar waren, bis sich die Dichterin Sylvia Plath, erst 30 Jahre alt und Mutter zweier kleiner Kinder, mit dem Kopf im Backofen umbrachte. Zurück ließ sie den Dichter Ted Hughes, der für den Rest seines Lebens mit ihrem Tod nicht fertig wurde.

In ihrem Roman erzählt Connie Palmen sozusagen mit Ted Hughes' Worten seine Liebesgeschichte mit Sylvia Plath. Kann aber aus einer derart realen Vorlage wirklich ein Roman als literarische Fiktion entstehen? Darüber wurde sich die Runde nicht einig. Positiv wertete man den Versuch einer Frau, den vor allem bei Feministinnen verfemten Ted Hughes zu entdämonisieren. Negativ aber sei, dass das Buch einen neuen Mythos schaffe, also das Gegenteil von dem, was es behaupte.

Ähnlich kontrovers ging es zu bei Bodo Kirchhoffs "Widerfahrnis", dem Buch über eine Altersliebe, eine große Reise und den Tod. Da zeigte sich vor allem, dass die Runde auf Anhänger und Gegner dieses erfolgreichen Autors festgelegt war. Allgemein störte man sich am Auftauchen der Flüchtlingsfrage in der Person eines Kindes. Müller-Jerina hatte bei der Lektüre an Handke gedacht: "Wegen des hohen Tons. Aber Handke finde ich schrecklich." Zudem wünscht er dem Buch eine Banderole mit der Aufschrift "Rauchen ist ein tödliches Laster". Damit amüsierte er seine Kollegen, die ebenfalls über die unzähligen Zigaretten im Roman gestolpert waren.

Der Theaterexperte Ortmann verglich den Roman mit Werken von Thomas Bernhard, der aber viel souveräner erzählen könne. Markus Andrae hingegen meint: "Das Buch ist nicht Kirchhoffs beste Werk, aber es keinesfalls ein schlechtes Buch." Der etwas manierierte Titel "Widerfahrnis" gefiel keinem der vier Neusser Teilnehmer. Müller-Jerina: "Bodo Kirchhoff kann froh sein, dass er jetzt den Buchpreis gekriegt hat. Aber andere Romane dieses Literaturherbsts werden wohl längere Spuren hinterlassen."

Das ist auch dieser neuen Reihe zu wünschen, die zum Auftakt rund rund 40 Zuschauer fand.

(NGZ)
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