Günther Stohmann verklagt Politiker-Elite Vom Amtseid und dem Freibrief für die Politik

Günther Stohmann ist ein Mann, der Politik ernst nimmt. Ein streitbarer Charakter, dem es um das Wesen der Demokratie geht. Für den 72-jährigen früheren Unternehmensberater mit Wohnsitz an der Bedburger Straße in Erfttal hat das Wort, die Überzeugung und der ungetrübte Blick zum Bürger Bestand. Und für ihn zählt der Eid - vor Gericht, wie vor dem Parlament, wie vor dem Volk.

Der Sozialdemokrat, der stets im Verborgenen, zunächst in Ostwestfalen, seit 1972 in Neuss wirkt, nimmt auch den Amtseid ernst, den Politiker schwören. Günther Stohmann ist auch ein Mann, der es genau wissen will - zum Beispiel wie die Vorgänge mit den Gesetzesverstößen von Ex-Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl MdB und Ex-Innenminister Dr. Manfred Kanther ist.

Es begann im April diesen Jahres: Das Ehrenwort des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl machte die Runde, der offen zugegebene Verstoß gegen das Parteiengesetz - ein Ehrenwort über den Buchstaben des Gesetzes, die er selbst mit gesetzt hat? Es wurden die schwarzen Konten der Hessen-CDU des Manfred Kanther ruchbar. Günther Stohmann, der sich einst durch die "Ehrlichkeit bis auf die Knochen" eines Herbert Wehner in einer Frankfurter Unternehmerrunde zum Parteieintritt überzeugen ließ, fühlt sich als politischer Mensch getäuscht, missachtet.

Seine Reaktion: Er stellt Strafanzeige gegen Dr. Helmut Kohl MdB, Bundeskanzler a.D. und Ex-Minister Dr. Manfred Kanther, wegen mehrfachen Meineids. In § 154 StGB heißt es: "Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle falsch schwört, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft." Seine Jugend - mit 16 Jahren musste er den Fahneneid schwören, wer es nicht tat, wurde hingerichtet - hat sein Verhältnis zum Schwören geprägt.

Kohl hat fünf Mal vor dem Bundestag geschworen, "dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde, so wahr mir Gott helfe." Stohmann sieht gleich einen mehrfachen Bruch des Eides.

Anders die Staatsanwaltschaft Bonn: "Der von dem Bundeskanzler und seinen Ministern zu leistende Amtseid, Artikel 64 in Verbindung mit Artikel 56 des Grundgesetzes ist ein politisches Versprechen und kein Eid in einem gerichtlichen Verfahren. Er wird von der Strafvorschrift des § 154 des Strafgesetzbuches nicht erfasst." Ein Freibrief für die Politik. Eine Aussage mit weitreichenden Konsequenzen zum Beispiel für Beamte, für Soldaten, für Richter - oder was oder wer ist eine zur Abnahme von Eiden zuständige Stelle?

Die Folge: Kein Anfangsverdacht, keine Ermittlungen, so der Staatsanwalt. Der streitbare Erfttaler, Mitbegründer des Erfttaler Bürgerbüros und lange Zeit im Präsidium des örtlichen Schützenvereins tätig, gibt nicht auf, wendet sich an den Landes-Justizminister, der den Vorgang an den General-Staatsanwalt in Köln weiterleitet. Der sieht "zu Maßnahmen keinerlei Veranlassung." Die Einstellung des Verfahrens sei nicht zu beanstanden. Das war im Sommer; Kohl berief sich auf sein Ehrenwort.

"Klingt irgendwie wie ehrenwerte Gesellschaft", meint Stohmann. Auch die Beschwerde gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft verläuft im Sande. Stohmann, bis zum Rechtsdrift von Erich Mende FDP-Mitglied, hat inzwischen seine persönlichen Schlüsse gezogen: Der Amtseid des Bundeskanzlers und seiner Minister sei mit der rechtlichen Wirkung eines "Kneipeneides" gleichzusetzen. "Im Rheinland bekräftigt man Versprechen unter anderem mit dem Ausspruch "Dat schwör ich Dir beim Grab von minger Oma....."

Günther Stohmann schreibt an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Genosse und zweithöchster Repräsentant der Bundesrepublik. Von dort bekommt er schließlich Erstaunliches zu hören: "Nach dem öffentlichen Eingeständnis des Abgeordneten und ehemaligen Bundeskanzlers Dr. Kohl, gegen das Parteiengesetz, ein Gesetz des Bundes, verstoßen zu haben, ist unbestreitbar, dass der Amtseid in diesem Punkt nicht eingehalten worden ist. Im Unterschied zu einer beeideten Falschaussage vor Gericht ist dies jedoch nicht strafbewährt."

Thierse-Mitarbeiterin Alice Wolfgramm führt weiter aus: "Der vorgeschriebene Amtseid stellt vielmehr ein feierliches förmliches Versprechen hinsichtlich der künftigen staatspolitischen Tätigkeit dar. Durch ihn soll grundsätzlich die vollkommene Identifizierung des Gewählten mit den in der Verfassung niedergelegten Wertungen und Aufgaben bekräftigt werden. Auf Grund der Form der Eidesleistung - in aller Feierlichkeit und Öffentlichkeit - wird eine über das Rechtliche hinausgehende Selbstbindung an die Verfassung eingegangen."

Schließlich sei es "Sache der Öffentlichkeit, der Wählerinnen und Wähler, Qualität und Erfolg dieser Selbstbindung zu beurteilen und zum Beispiel mit dem Stimmzettel zu bewerten". Inwieweit Kohl gegen andere Strafrechtsnormen verstoßen habe, prüfe die Staatsanwaltschaft. Günther Stohmann: "Diese Antwort hast mich fast meine politische Überzeugung gekostet." Er fragt: "Wie verträgt sich eine über das Rechtliche hinaus gehende Selbstbindung mit der rechtlichen Qualifikation als salbungsvolles Geschwätz?"

Er bat das Bundestagspräsidium um Auskunft, "wann in der Bundesrepublik welcher Eid noch von Bedeutung ist". Die Antwort ist seit einem Vierteljahr überfällig. Die Folgerung die Günther Stohmann zieht: "Wir sollten den Amtseid abschaffen; er ist ein billiges Schauspiel zur Volksverdummung." Für diesen Vorschlag, den er auch über eine Zeitschrift öffentlich machte, erhielt er übrigens viel Zustimmung aus der ganzen Republik. Chris Stoffels

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