Neuss Vom Schreibtisch im Ministerium zu den Flüchtlingen

Neuss · Ulrich Hermanski ist einer von fünf Ministeriumsmitarbeitern, die freiwillig die Schreibarbeit für Asylsuchende in Neuss erledigen.

 Ulrich Hermanski hat seinen Arbeitsplatz im Justizministerium für ein halbes Jahr mit einem im ZUE getauscht.

Ulrich Hermanski hat seinen Arbeitsplatz im Justizministerium für ein halbes Jahr mit einem im ZUE getauscht.

Foto: Andreas Woitschützke

Der Mann muss Nerven wie Stahl haben. Wie ein Fels steht er mitten in dem Pulk von wild gestikulierenden und durcheinander redenden Männern, sein Äußeres weist ihn als Mann des Sicherheitsdienstes aus. Vermutlich versteht er kein Wort von dem Streit, aber er signalisiert mit seiner ganzen Haltung: Beruhigt euch! Was auch passiert. So schnell die Gefühle hochgekocht sind, kühlen sie auch wieder ab. Ohnehin scheint keiner so richtig Angst gehabt zu haben, man wartet einfach ab, schaut zu, wie drei, vier weitere Männer vom Sicherheitsdienst die Streithähne trennen, indem sie sie in unterschiedliche Richtungen dirigieren.

Es ist Mittagszeit in der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes NRW für Flüchtlinge am Alexianerplatz. Und wer bis gerade noch draußen war, kommt jetzt rein, holt sich ein Tablett und an der Ausgabe einen Teller mit Nudeln (oder Reis), Gemüse und Hühnchengeschnetzeltem ab. Gegessen wird mit Gabel, Messer gibt es nicht. In der Kantine wie auch an so vielen anderen Stellen in und rund um das ehemalige "Alex" helfen Flüchtlinge mit. Sie wischen Tische sauber, fegen den Boden, entsorgen Essensreste. Draußen kehren sie das Laub zusammen. Jeder von ihnen trägt ein Band mit einem kleinen Schildchen, das ihn als Helfer ausweist.

Aber der Großteil der Heimbewohner, die drei bis vier Wochen blieben, muss sich die Zeit irgendwie vertreiben. Die Taschengeldausgabe wird zum Tagesereignis. Manchem geht es zu langsam, ein anderer hat Sorge, zu kurz zu kommen: Die anfängliche Schlange knubbelt sich schnell zu einem Pulk, alles redet durcheinander.

"Manchmal wundere ich mich, dass bei soviel Nationalitäten auf so engem Raum nicht mehr passiert", sagt Ulrich Hermanski trocken. Für ein halbes Jahr hat er seinen Schreibtisch im NRW-Justizministerium mit einem in der ZUE vertauscht. Als die Landesregierung im August Mitarbeiter ihrer Ministerien ebenso wie die von anderen Behörden aufgefordert hat, sich freiwillig für die Büroarbeit in den Aufnahmezentren zu melden, habe er sich sofort gemeldet, sagt er. Und warum? "Ich fand es reizvoll, und man wird gebraucht." Vier andere Kollegen aus anderen Ministerien haben genauso entschieden und bearbeiten nun Anträge, füllen Listen für die Taschengeldausgabe aus, sorgen dafür, dass die Zuweisung zu den Kommunen klappt. "Wir müssen den Durchlauf flüssig organisieren", sagt der 59-Jährige, der als Referatsleiter im Ministerium arbeitet. "Aber hier ist alles anders, es geht sehr turbulent zu, jeder Tag ist neu."

Sie haben es mit Menschen zu tun, die ihre Sprache nicht sprechen, aus anderen Einrichtungen busweise nach Neuss kommen und häufig genug ihre Angehörigen suchen, die sie irgendwo auf dem Weg nach Neuss verloren haben. Auf der "Büma", so der Bürojargon für die "Bescheinigung über die Meldung als Asylbewerber", die bei der Registrierung ausgestellt wird und ein befristeter Aufenthaltsnachweis ist, wird auch die Familienzugehörigkeit festgehalten. Aber wenn da nichts steht, wird eine Familie schon mal getrennt weitergeleitet, sagt Hermanski.

Als ob das bewiesen werden müsste. Sozialhelfer Darius kommt rein und berichtet, dass ein Familienvater noch schnell zum Röntgen gebracht werden kann. Eine wichtige Voraussetzung, um ihn wieder mit seiner Familie zu vereinen, die bereits nach Duisburg gebracht wurde. Denn erst als seine Frau mit den drei Kindern ohne ihn in den Bus nach Duisburg steigen sollte, wurde das Missverständnis offenbar. Der Vater war erst einige Tage nach seiner Familie in Neuss eingetroffen, die Familienzugehörigkeit war nicht vermerkt. Doch ohne medizinisches Okay wird keiner entlassen. Also wird geklärt, was auf die Schnelle möglich ist. Der Röntgentermin ist das eine, das andere ist die Aufgabe für Hermanski und seine Kollegen, sofort alle Beteiligten über die Änderung zu informieren: von der zuständigen Bezirksregierung Arnsberg über die betroffenen Kommunen bis hin zum Busfahrer.

"Das ist es, was unsere Arbeit so aufwendig macht", sagt auch Rüdiger Schneider, der sich mit Ulrich Hermanski ein schmales Büro teilt und eigentlich im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales arbeitet. Wie das alles geschafft werden soll, wenn die Zahl der Flüchtlinge in der Neusser ZUE die angekündigten 2000 erreicht hat, ist ihm noch ein Rätsel. "Ein elektronisch lesbarer Flüchtlingsausweis - der wäre eine große Erleichterung", sagt auch Hermanski.

Denn derzeit sind manches Mal vier verschiedenen Stellen mit der Erfassung der Flüchtlinge befasst - vier Möglichkeiten mehr für Fehler bei den fremden Namen bis hin zum kompletten Vergessen wichtiger Angaben. "Manchmal kommen auch nur Kopien von Karteikarten mit Namen und Nationalität an", sagt Hermanski und weiß genau, dass diese Mängel weniger mit Unvermögen der Bearbeiter als vielmehr mit der Situation als solcher zu tun haben. Denn auch auf dieser Seite arbeiten nur Menschen.

(hbm)
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