Neuss Von Macht und bedingungsloser Liebe

Neuss · Am Ende des zweieinhalbstündigen Premierenabends von "Die Jüdin von Toledo" nach Lion Feuchtwanger im Rheinischen Landestheater spendete das Publikum großzügig Beifall für Schauspieler und Regisseur.

 Joachim Berger (Jehuda Ibn Esra), Stefan Schleue (Alfonso), Alina Wolff (Rahel), Josia Krug (Minister/Alazar) und Juliane Pempelfort (Leonore) in Feuchtwangers "Die Jüdin von Toledo".

Joachim Berger (Jehuda Ibn Esra), Stefan Schleue (Alfonso), Alina Wolff (Rahel), Josia Krug (Minister/Alazar) und Juliane Pempelfort (Leonore) in Feuchtwangers "Die Jüdin von Toledo".

Foto: Bjoern Hickmann

Die neue Produktion des Rheinischen Landestheaters ist eine Romanbearbeitung. "Die Jüdin von Toledo" von Lion Feuchtwanger spielt im Spanien des 12. Jahrhunderts. Damals war die iberische Halbinsel aufgeteilt in ein muslimisches und mehrere christliche Fürstentümer. Alfonso, der König von Kastilien wollte unbedingt auch den Süden in christlicher Hand sehen und dafür in den Krieg ziehen. Doch ihm fehlten die Mittel. Der jüdische Kaufmann Jehuda Bin Esra, der im muslimischen Sevilla zu großem Reichtum gekommen war, sollte ihm diese besorgen. Dann geschah etwas Unerwartetes: Der verheiratete König verliebte sich in Raquel, die schöne Tochter des Juden. Feuchtwangers Roman umfasst eine erhebliche Zeitspanne: Kinder werden gezeugt und geboren, Fürsten und Könige sterben, große Schlachten lassen tausende Tote auf dem Feld.

Für seine Bühnenbearbeitung, die der Regisseur Moritz Peters zusammen mit dem Dramaturgen Reinar Ortmann erstellt hat, wählte er den Begriff "dramatische Chronik". Rodrigue, der Beichtvater des Königs, und Musa, ein jüdische Arzt und Freund Jehudas, führen als Chronisten durch die Handlung. Auch die Hauptfiguren treten immer wieder aus ihrer Rolle und kommentieren ihr eigenes Tun. Man erkennt: Dort lauert das statuarische Deklamationstheater. Dass es nicht dazu kommt, dass man vielmehr einen faszinierenden Bühnenabenderlebt, liegt am Zusammenspiel von Ausstattung, Musik und vor allem den gut ausgewählten Darstellern. Ein aus Platten geformter Hügel ist Thronsaal, zinnenbewehrte Burg und Lustschloss. Dort agieren die Personen in kakifarbener Kleidung mit jeweils eigenem farbigen Überwurf. Die Musik von Tobias Schütte sorgt, ähnlich wie beim Film, für wechselnde Stimmungen. Den Anfang machen die Chronisten mit einer philosophisch-theologischen Verortung der drei Religionen. Den muslimischen Herren von Al Andalus stellen sie ein gutes Zeugnis aus: "Die neuen Herren brachten mit sich eine überlegene Kultur und Wissenschaft. Sie machten das Land zu dem schönsten und reichsten Europas. Philosophen weiteten die Grenzen des Korans und übersetzten das Werk der griechischen Weltweisheit in ihre eigene Denkart. Alle Religionen konnten ihren Glauben frei ausleben."

Stefan Schleue zeigt den König Alfonso als unbeherrschten und launischen Draufgänger, der sich von beinahe kindischem Übermut leiten lässt. Mit Recht wird er von seiner Königin getadelt: "Du bist kein Ritter, der auf Abenteuer zieht, du bist der König von Kastilien." Hingegen ist Jehuda in der Darstellung von Joachim Berger mehr Kaufmann und weniger edle Unschuld als in Feuchtwangers Roman. Berger und Schleue gelingt es hervorragend, die verqueren Machtpositionen von schwachem Herrn und starkem Diener in Szene zu setzen. Alina Wolff spielt die Titelrolle. Als verwöhntes, arabisiertes Kulturfräulein Rechija ist sie aus dem heiteren Sevilla ins finstere Toledo gekommen. Im Volk unter dem Namen "la Fermosa", die Schöne, bekannt, nennt sie sich jetzt auf Kastilisch Raquel. Auf faszinierende Weise gelingt es Alina Wolff, die bedingungslose und hingebungsvolle Liebe der Jüdin von Toledo zum König von Kastilien ins Bild zu setzen. Selbst nach brutaler Misshandlung hält sie dem von wechselnden Stimmungen beherrschten Alfonso die Treue.

Mit seinen historischen Romanen wollte Feuchtwanger nicht die Vergangenheit verklären, sondern deren Bezug zum Heute unterstreichen. Das will auch Moritz Peters mit seinem Neusser Theaterabend. Unter dem Donnergrollen ferner Gewalt, das während der Aufführung immer im Hintergrund zu hören ist, resümiert der Chronist Rodrigue, an Musa gewandt: "Ich glaube nicht allein an die Macht des Schicksals. Erst seitdem die Moslems alles Wissen, das nicht aus dem Koran stammt, für Ketzerei erklärt haben, ist eure Wissenschaft im Abstieg." Viel Beifall für die Darsteller am Ende des zweieinhalbstündigen Premierenabends.

(NGZ)
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