Mit Dem Jugendamt Von Fall Zu Fall Wenn das Amt ein Kind wegnehmen muss

Neuss · Im vergangenen Jahr gab es 147 sogenannte Inobhutnahmen in Neuss. Mädchen und Jungen, denen Gefahr droht, werden dann bei Pflegefamilien oder Jugendschutzstellen untergebracht. Mal für nur kurze Zeit, mal für immer.

 Roger Schmitz, Ursula Gondorf und Sonja Olechnowitz (v. l.) vom Neusser Jugendamt haben das Kindeswohl im Blick.

Roger Schmitz, Ursula Gondorf und Sonja Olechnowitz (v. l.) vom Neusser Jugendamt haben das Kindeswohl im Blick.

Foto: Andreas Woitschützke

Neuss Wenn sich Familien in einer Krise befinden, kann das Neusser Jugendamt verschiedenste Hilfestellungen anbieten. Alle Probleme lassen sich aber nicht sofort lösen. Und sobald das Wohl eines Kindes gefährdet ist oder es selbst um Obhut bittet, ist das Amt verpflichtet, für das Kind eine sichere Unterkunft zu suchen. "Wir haben zum Glück nur selten Inobhutnahmen", sagt Ursula Gondorf, Abteilungsleiterin im Jugendamt.

Dennoch: 2014 gab es 147 solcher Fälle in Neuss. Mal bleibe ein Kind nur wenige Tage in einer Jugendschutzstelle oder Bereitschafts-Pflegefamilie, mal sei eine Rückkehr in die eigene Familie nicht mehr möglich. Die Entscheidung, ein Kind in Obhut zu nehmen, sei nicht einfach, gibt Gondorf zu. "Denn es muss eine nachgewiesene Gefahr für das Kind bestehen", sagt sie. Bei körperlicher Gewalt, sexuellem Missbrauch oder extremer Verwahrlosung sei dies durch rechtsmedizinische Untersuchungen oft belegbar.

"Schwieriger ist es, psychischen Missbrauch nachzuweisen", sagt Gondorf. Ebenso, wenn ein Mädchen oder Junge von seinen Eltern zu kriminellen Handlungen aufgefordert werde. "Hinzu kommt, dass die Elternrechte in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert haben." Das sei sinnvoll, schränke aber die Spielräume des Jugendamts ein. "Wenn wir beispielsweise von einer Schule erfahren, dass sich Lehrer um ein Kind sorgen, das nicht regelmäßig isst, schläft oder sinnvoll beschäftigt wird, können wir der Familie nur unsere Hilfe anbieten", erklärt Gondorf.

"Lehnt dies die Familie ab, können wir nicht mehr viel machen, denn das fällt nicht in den Bereich der Kindeswohlgefährdung." Wenn die Entwicklung eines Kindes schlecht laufe, sei dies manches Mal nur schwer auszuhalten. "Das kann auch zu Unverständnis bei Kitas oder Schulen führen", sagt Gondorf. Deutliche Kindeswohlgefährdung lag dagegen in einem Fall vor, den Jugendamts-Mitarbeiterin Sonja Olechnowitz erlebt hat.

Nachbarn hatten dem Ordnungsamt von einer vermüllten Wohnung berichtet, in der auch ein Kleinkind lebte. "Wir haben das Kind für mehrere Tage in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht", so Olechnowitz. Die Wohnung sei in schrecklichem Zustand gewesen und habe professionell gereinigt werden müssen. "Die Eltern waren aber kooperativ." Zwei bis dreimal pro Woche habe sie oder ein Kollege die Familie unangekündigt aufgesucht.

Mit Erfolg: "Die Eltern haben geputzt, und wir konnten das Kind wieder zurückbringen." Ganz anders dagegen ein Fall, den Roger Schmitz kürzlich erlebt hat. Eine junge Mutter, die mit ihrem Kleinkind stationär untergebracht war, um die Betreuung ihres Kindes zu erlernen, brach diese Maßnahme spontan ab. "Weil die Versorgung des Kindes nicht mehr sichergestellt war, haben wir es unverzüglich in eine Bereitschaftspflegefamilie gebracht", berichtet der Jugendamts-Mitarbeiter.

Das Jugendamt sei dann verpflichtet, eine Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten einzuholen. Widersprechen die Eltern, müsse das Amt innerhalb von 48 Stunden das Jugendgericht anrufen oder das Kind an seine Eltern zurückgeben. "Inobhutnahmen sind immer die letzte Lösung", sagt Schmitz. "Wir sind aber auch die Eingriffsbehörde, die die Kinder schützen muss."

(NGZ)
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