Bouchra El Maazi "Wir müssen alle viel aufrichtiger sein"

Neuss · Die selbstständige Integrationsmentorin ist seit November Vorsitzende des ersten Kaarster Integrationsrates, für den sie sich sehr eingesetzt hat. Die NGZ hat mit ihr über die aktuelle Flüchtlingssituation, begangene Fehler und wachsende Ängste gesprochen.

 Bouchra El Maazi hat marokkanische Wurzeln. "Als sogenanntes Gastarbeiterkind hatte ich die Chance, mit zwei Kulturen aufzuwachsen", sagt sie.

Bouchra El Maazi hat marokkanische Wurzeln. "Als sogenanntes Gastarbeiterkind hatte ich die Chance, mit zwei Kulturen aufzuwachsen", sagt sie.

Foto: l. Berns

Frau El Maazi, die Stadt Bornheim erlässt ein Schwimmbadverbot für männliche Flüchtlinge, Karnevalisten denken über die Absage von Karnevalszügen nach, Frauen "bewaffnen" sich mit Pfefferspray - aus Angst vor sexuellen Übergriffen. Wie nehmen Sie die aktuelle Stimmung in Deutschland wahr?

Bouchra El Maazi Viele Menschen haben Angst, oder zumindest ein beklommenes Gefühl im Umgang mit Flüchtlingen - das kann ich bestätigen. Einige kommen auf mich zu und fragen, wie sie sich verhalten sollen. Denen sage ich dann, dass es darauf keine pauschale Antwort gibt. Im Zweifel kommt es doch immer auf den Einzelfall an. Aufmerksam sein, im Dunkeln wenn möglich nicht alleine durch schlecht beleuchtete Straße gehen, sich von Männergruppen fernhalten, die Alkohol getrunken haben: Diese Ratschläge kennt doch jedes Mädchen und jede Frau, und das nicht erst, seit wir diese Flüchtlingsdiskussion führen.

Würden Sie also sagen, dass diese Ängste möglicherweise übertrieben sind?

El Maazi Nein, ganz und gar nicht. Die Ängste sind logischerweise da, und das nicht erst seit "Köln". Für viele scheinen sie sich jetzt zu bewahrheiten. Dass das so kommen würde, habe ich ehrlich gesagt schon lange vorausgesehen. Weil ich - ganz grundsätzlich gesprochen - die Menschen kenne, die zu uns kommen. Ich habe dazu Gespräche mit verschiedenen Stellen geführt, habe angeraten, die Dinge beim Namen zu nennen und Gefahren präventiv anzugehen, aber das wollte niemand hören. "Malen Sie den Teufel nicht an die Wand", hieß es nur.

Was kann man denn Ihrer Meinung nach präventiv tun?

El Maazi Aufklären. Die Leute, die in Deutschland ankommen, werden in allen möglichen Dingen geschult. Ihnen wird beigebracht, wie Mülltrennung funktioniert und wie man einen Handy-Vertrag abschließt. Man kann und muss ihnen aber auch erklären, was unsere Werte sind und dass wir erwarten, dass diese auch eingehalten werden. Das ist nicht politisch-inkorrekt, das ist selbstverständlich. Wir müssen ihnen sagen, wie unser Frauenbild aussieht, dass ein Lächeln zum Beispiel keine Aufforderung zum Sex bedeutet. Es wird zwar gesagt, dass diese Aufklärung stattfindet, aber inwieweit das tatsächlich der Fall ist, weiß ich nicht. Was ich weiß: Integration ist keine Einbahnstraße, sie erfordert Willen und Akzeptanz auf beiden Seiten.

Sie sind gebürtige Neusserin mit marokkanischen Wurzeln. Hat bei Ihnen denn die Integration funktioniert?

El Maazi Nicht hundertprozentig. Die Gastarbeiter von damals hätten Deutschland niemals als ihre Heimat angesehen. Ihnen wurde vermittelt: "Ihr kommt, um zu arbeiten, und dann geht Ihr wieder." Mit dieser Einstellung ist man hier ganz lange gefahren. Was in der Vergangenheit bei der Integration versäumt wurde, wird jetzt doppelt und dreifach nachgeholt. Ich bin überzeugt davon, dass diese Bemühungen irgendwann auch greifen werden und dass dann alles einfacher wird.

Würden Sie sagen, dass "Interkulturelle Kompetenz" erlernbar ist?

El Maazi Jeder Mensch hat ja gewisse Schnittstellen zu anderen Kulturen in seinem Leben: über die Kita, die Schule, die Arbeit. Jeder trägt diese Kompetenz also in sich, ist sich dessen aber vielleicht nicht bewusst. Das Seminar, das ich in Grevenbroich gebe, richtet sich in erster Linie an Hauptberufliche und Ehrenamtliche, die mit Flüchtlingen zu tun haben. Es soll helfen, den Möglichkeiten und Herausforderungen dieser gesellschaftlichen Vielfalt sicherer zu begegnen. Dafür braucht es unter anderem Akzeptanz, Offenheit und Empathie, aber auch die Bereitschaft, die eigenen Gefühle, Denk- und Reaktionsmuster zu reflektieren. Ob das gelingt, ist eine Persönlichkeitsfrage.

Ein Ratschlag von Ihnen für die Zukunft?

El Maazi Wer sagt: "Ich habe Angst", ist kein Ausländerfeind. Er verleiht einem Gefühl Ausdruck, und das ist ganz wichtig. Wir müssen Ängste, Zweifel und Unsicherheiten zulassen, respektvoll und aufrichtig sein - zu uns selbst und zu anderen. Das gilt für beide Seiten.

JULIA HAGENACKER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(NGZ)
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