Zum Dritten! Unsere Redaktion ersteigert sich ein Rad

Neuss · Mit dem Auftrag, ein Fahrrad für maximal 30 Euro zu ergattern, machte sich unser Autor auf zu einer Auktion der Stadt.

Neuss: NGZ-Redakteur ersteigert Fahrrad
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NGZ-Redakteur ersteigert Fahrrad

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Der Fahrradhändler zieht eine Augenbraue hoch und fällt ein für mich desillusionierendes Urteil. Eigentlich war ich nur zu ihm gekommen, um die beiden platten Reifen an meinem neuen Fahrrad aufpumpen zu lassen. Doch es sollte alles ganz anders kommen.

Knapp zwei Stunden zuvor fährt mich ein Kollege in die Neusser Innenstadt. Ich lasse mich kutschieren, weil ich mir fest vorgenommen habe, zurück zu radeln. Und zwar mit einem frisch ersteigerten Redaktions-Fahrrad, das die Kollegen in Zukunft mitnutzen können. In der Innenpassage des Rathauses werden an diesem Tag nämlich Drahtesel versteigert. Im Vorfeld verriet mir ein Mitarbeiter der Stadt, dass die meisten "Dinger" für einen niedrigen zweistelligen Betrag den Besitzer wechseln.

Beim ersten Blick auf die aneinandergereihten Räder - schätzungsweise sind es zwischen 100 und 200 - erklärt sich die angekündigte Platzierung im Niedrigpreis-Segment. Viele sind in einem Zustand, der im Flohmarkt-Jargon wohl mit "Für Bastler" bezeichnet wird. Da gibt es den knallblauen Flitzer mit der Aufschrift "Power Eagle Electric" ohne Sattel oder ein namenloses Mountainbike, dessen Offroad-Räder so aussehen, als wäre der vorige Besitzer mit ihm eine Regenperiode lang durch tropische Sumpflandschaften gedüst.

Aber wer die Vorbesitzer sind, weiß niemand. Schließlich handelt es sich bei den Fahrrädern ausschließlich um Fundstücke, die keinem zugeordnet werden können. Bei emphatischen Menschen könnte da fast eine Spur Mitleid aufkommen.

Doch für Emotionen bleibt keine Zeit. Schließlich muss ich einen Auftrag erledigen. Ich mache es wie professionelle Casino-Gäste und setze mir ein Limit: Teurer als 30 Euro sollte es nicht sein. Bevor die Versteigerung startet, haben die Auktionsgäste Gelegenheit, sich einen Überblick über die "Ware" zu verschaffen. Es wird gefühlt, fotografiert, fachmännisch beäugt. Alibimäßig taste ich auch einige Räder ab, um den Eindruck zu erwecken, als hätte ich Ahnung von der Materie. Schließlich sind alle Leute um mich herum potenzielle Konkurrenten. Da gilt es, Stärke zu demonstrieren. "Viel Schrott dabei", höre ich einen Mann hinter mir zu seiner weiblichen Begleitung sagen.

Kurz bevor Günter Schorn vom Neusser Bürgeramt - er ist an diesem Tag der Auktionator - an das Mikrofon tritt, wähle ich meinen Favoriten beziehungsweise das in meinen Augen kleinste Übel aus. Zugegeben, es sind auch einige Perlen dabei. Zum Beispiel Marken-Räder von Gazelle oder Bulls. Doch Hoffnung, diese Schmuckstücke für mein geplantes Budget abzustauben, lasse ich gar nicht erst aufkeimen. Stattdessen entscheide ich mich für ein dunkelgrünes Hollandrad der Marke Zandvoort mit der Kennnummer 2018/27. Die Reifen sind zwar platt, aber das Rad macht optisch einen recht gepflegten Eindruck. Liebhaber würden von Retro-Look sprechen. Sogar das Licht funktioniert und der Schlüssel für das Schloss steckt.

Die Regeln sind auch für Branchenfremde wie mich leicht zu verstehen. Bis 50 Euro wird in Zwei-Euro-Schritten geboten, ab 50 Euro in Fünf-Euro-Schritten und ab 100 Euro in Zehnern. Die Auktion beginnt mit einem Schock: Das erste Rad - ein Mountainbike, das auf die Bezeichnung La Strada Comfort hört - geht für stolze 85 Euro über den Tisch. Mit meinem geplanten Budget hätte ich da nicht mal ansatzweise die Muskeln spielen lassen können.

Als der Mann vom Ordnungsamt mit den neongrünen Handschuhen mein auserwähltes Zandvoort-Fahrrad auf den Tisch hievt, steigt die Nervosität. "Das Startgebot liegt bei sechs Euro", ruft Schorn. Ich steige sofort ein und biete acht. Als danach sekundenlang Stille herrscht, denke ich, dass ich der einzige Bieter bin. Doch dann steigt ein Mann hinter mir mit ein. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen. In Zwei-Euro-Schritten treiben wir den Preis in die Höhe. Ich schaue extra nicht nach hinten, um Augenkontakt zu vermeiden. Konkurrenz ohne Gesicht ist leichter zu besiegen. Ausgerechnet bei 30 Euro steigt der Mitbieter aus. Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten - das Retro-Zandvoort gehört mir.

Stolz mache ich mich - schiebend - auf den Weg in die Redaktion. Unterwegs mache ich noch Halt bei Fahrradhändler Uwe Thiefes, um die Reifen aufpumpen zu lassen. Doch soweit sollte es gar nicht kommen. "Was ist das für ein Trümmerhaufen?", fragt er. Als ich sage, wie viel ich dafür bezahlt habe, schüttelt er nur ungläubig mit dem Kopf. "Da könnten Sie 100 Euro reinstecken und hätten immer noch ein schlechtes Fahrrad. Die Reifen müssen komplett neu", sagt er. Ich danke und ärgere mich über meine Naivität. Mir wird plötzlich klar, warum es neben mir nur einen weiteren Mitbieter gab. Doch die Mission Redaktions-Fahrrad ist noch nicht beendet. Dem Zandvoort kann neues Leben eingehaucht werden - davon bin ich fest überzeugt.

Fortsetzung folgt.

(jasi)
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