Radevormwald Beklemmendes Klima der Angst lähmt

Radevormwald · Das Westfälische Landestheater beeindruckt mit seiner Inszenierung von Fritz Langs Filmklassiker "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" vor 250 Zuschauern im Bürgerhaus. Sie sahen ein großartiges Bühnenwerk, das zum Nachdenken anregt.

 Die Bevölkerung stürzt sich begierig auf jeden, den Volkes Mund als Schuldigen ausmacht. Atmosphärisch dicht und dramaturgisch perfekt spielten die Akteure das beklemmende Klima der Angst, das die Großstadt in den Fängen hält.

Die Bevölkerung stürzt sich begierig auf jeden, den Volkes Mund als Schuldigen ausmacht. Atmosphärisch dicht und dramaturgisch perfekt spielten die Akteure das beklemmende Klima der Angst, das die Großstadt in den Fängen hält.

Foto: wlt

Eine Stadt steht kurz vor dem Kollaps: Wo zunächst noch fröhliche Musik ertönt, bunte Bälle durchs Bild kullern, und die ganze Palette der Einwohner nichtsahnend durch die Straßen flaniert, werden sich bald Hysterie, Argwohn und Panik breitmachen. Ein Mörder geht um, schlimmer noch: ein Kindermörder. Das ist das Setting der Theater-Adaption von Fritz Langs Filmklassiker "M - Eine Stadt sucht einen Mörder", das das Westfälische Landestheater in einer Bühnenfassung von Tankred Schleinschock und Markus Kopf auf die Bühne des Radevormwalder Bürgerhauses brachte. 250 Zuschauer verfolgen gebannt das Geschehen auf der sparsam, aber eindrucksvoll dekorierten Bühne. Das Grauen, das acht ermordete Kinder über eine Stadt bringen kann, wird besonders deutlich dadurch, dass es vor niemandem Halt macht. Zu sehen ist das an der Bandbreite der Persönlichkeiten, die da über die Bühne spazieren - Dirne und Pfarrer, Hausfrau und Taschendieb, Polizistenmörder und Polizeipräsident. Mittendrin: das Phantom (noch) ohne Namen, der Mörder, M.

Dabei scheint doch schon bald alles klar und der Kindsmörder gestellt zu sein. Zumindest wenn es nach der Bevölkerung geht, die sich begierig auf jeden stürzt, den Volkes Mund als Schuldigen ausmacht - etwa, weil einer einem Kind die Uhrzeit gesagt hat, weil ein anderer scheinbar abwartend an der Straßenecke steht oder wieder ein anderer sich sonst irgendwie verdächtig gemacht hat. Und schnell wird so aus Panik Euphorie, wird gleich fröhlich das Lied "Warte, warte noch ein Weilchen..." gesungen, während doch der Mörder sich schon sein nächstes Opfer ausgesucht hat.

Ein fatales Abbild unserer Zeit, auch noch 85 Jahre nach Erscheinen von Langs Filmklassiker: Denn auch heute machen ja vermeintlich für die Bevölkerung krakeelende Lautsprecher Unschuldige, die nur ein wenig aus dem normierten Rahmen fallen, für Pest, Cholera und alles andere verantwortlich. Insofern ist das brandaktuell, was Regisseur Markus Kopf da auf die Bühne transportiert hat. Und auch das Büchner-Zitat aus dem "Woyzeck", ganz zu Beginn gesprochen, passt hier ganz hervorragend: "Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einen, wenn man hinabblickt." Mit Theateradaptionen, gerade bekannter Filme ist es ja immer so eine Sache. Theater ist per se reduzierter in seinen Möglichkeiten. Wo ein Film seinen Mangel an Handlung hinter Effektschlachten und Bombast verstecken kann, steht der Theaterschauspieler quasi nackt vor dem Publikum. Aber auch dann, wenn ein Film zu komplex ist, ist der Theaterregisseur gefragt, die Essenz des Werks herauszuschälen und zu präsentieren.

Kopf und Schleinschock haben diesbezüglich ganze Arbeit geleistet. Atmosphärisch ungeheuer dicht und dramaturgisch perfekt zeigen sie das beklemmende Klima der Angst, das die Großstadt in den Fängen hält. Dem zur Seite steht ein bestens aufgelegtes Ensemble, das sehr oft die lauten Töne sprechen lässt, genauso gut aber leise und bedächtig zu agieren weiß. Wobei ersteres, der vorherrschenden Panik geschuldet, weit öfter vorkommt, so dass es mitunter sehr laut auf der Bühne zugeht. Aber auch die parallel verlaufenden Handlungsstränge, etwa als sowohl Unterwelt als auch Staatsgewalt dem Mörder den Kampf ansagen, werden perfekt durchchoreographiert und für das Publikum nachvollziehbar umgesetzt. Somit bleibt anderthalb Stunden bis zum Schluss ein großartiges Bühnenwerk, das einen als Zuschauer nachhaltig beeindruckt nach Hause gehen lässt.

Theater, das zum Nachdenken anregt - so soll es sein!

(wow)
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