Gudrun Henseler Eltern müssen klare Vorgaben machen

Radevormwald · Heute ist "Tag der gewaltfreien Erziehung". Familienberaterin Gudrun Henseler spricht über Strategien bei der Erziehung.

Dass Kinder gewaltfrei erzogen werden, ist mittlerweile doch eine Selbstverständlichkeit, oder?

Henseler Eigentlich sollte das eine Selbstverständlichkeit sein. Gesellschaftlich ist es nicht mehr akzeptiert, in der Erziehung Gewalt auszuüben. Zugleich kommen aber die Hälfte aller Eltern einmal in die Situation, dass sie sich anders nicht mehr zu helfen wissen.

Und dann schlagen Eltern im Affekt zu?

Henseler Genau. Die bewusste körperliche Bestrafung von Kindern wird heute kaum noch eingesetzt. Es ist nicht mehr so wie in den 1950er- und 1960er-Jahren, als der Vater abends nach Hause kam und das Kind schlug, wenn es am Tag etwas ausgefressen hatte. Wenn so etwas heute passiert, dann zumeist, weil die Eltern überfordert sind.

Womit überfordert?

Henseler Eltern wollen heutzutage das Erziehungsvorbild ihrer eigenen Eltern nicht mehr fraglos übernehmen, zugleich aber haben sie oftmals keine klare Vorstellung davon, wie sie die Erziehung ihrer Kinder gestalten wollen. Den Kindern fehlen dann klare Vorgaben und Regeln. Und das kann in Stresssituationen zu einer Überforderung der Eltern führen.

Müssen sich Eltern also ganz gezielt Gedanken über Erziehungsstrategien machen?

Henseler Vater und Mutter sollten vor allem an einem Strang ziehen. Die Erziehung muss reflektiert werden und darf nicht nur aus einem Gefühl und dem Moment heraus erfolgen. Gemeinsam haben die Eltern zu überlegen: Wie gehen wir vor? Jedes Kind versucht, die Eltern gegeneinander auszuspielen. Wenn die Mutter etwas verbietet, versucht man es beim Vater. Und andersherum. Das kennen wir alle aus unserer eigenen Kindheit.

Eltern brauchen also eine gemeinsame Linie, wenn es um die Erziehung ihres Kindes geht?

Henseler Sie sollten auf jeden Fall gemeinsam Grenzen setzen und formulieren, diese aber auch für das Kind verlässlich einhalten. Wenn die Grenzen ständig verschoben werden oder es gar keine gibt, entstehen stressbesetzte Situation. Wir brauchen starke Eltern! Dann fühlen sich die Kinder auch beschützt und sicher.

Wie lassen sich Konflikte zwischen Eltern und Kindern vermeiden?

Henseler Konflikte sind wichtig und gehören zum Zusammenleben dazu. Familien brauchen eine respektvolle Streitkultur. Im Streit handeln wir Bestehendes neu aus. Den Kindern muss dies aber vorgelebt werden. Wenn körperliche Gewalt in der Familie nicht akzeptiert wird, verinnerlicht auch das Kind dies nicht als wichtige Lebensstrategie. Ein geschlagenes Kind hingegen wird auch eher zum Schlagenden.

Und wenn eine Situation zu eskalieren droht - was dann?

Henseler Dann sollten Eltern sich zurückziehen. Es hilft, einmal um den Block zu gehen und sich ein Stück weit zu fangen. Solange es nichts Dringliches ist, liegt die Entscheidung, ein Gespräch zu vertagen, sowieso immer bei den Eltern. Sie sind durch die Belastungen im Alltag oft gestresst und erschöpft. Wenn man den ganzen Tag Ärger hatte, reicht manchmal eine Kleinigkeit, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Darum haben Eltern das Recht zu sagen: "Jetzt nicht."

Und wenn es doch geschieht und Eltern ihre Kinder schlagen?

Henseler Wenn es denn dann doch passiert, ist das sehr bedauerlich. Es darf nicht passieren. Aber wenn es passiert, dann gilt es, mit der Situation fertig zu werden, mit dem Kind zu sprechen und um Entschuldigung zu bitten. Eltern brechen sich keinen Zacken aus der Krone, wenn sie zugeben, etwas falsch gemacht zu haben. Wer Fehler macht und dazu steht, kann dem Kind sehr gut ein Vorbild sein. Wer seinem Kind zeigt, wie sehr man etwas bedauert, kann erleben, wie gut Kinder verzeihen können. Kinder sind sehr großzügig.

KLAS LIBUDA FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort