Radevormwald Gegen Mittag kamen die Panzerkolonnen nach Rade

Radevormwald · Am Morgen des 13. April hingen Rauchwolken über der Stadt, Brandgeruch, erinnert sich Friedhelm Brack. Beim Besuch der Familie einer Klassenkameradin am Morgen herrschte dort die Sorge vor, wie sich die einrückenden Soldaten, vor allem gegenüber jungen Mädchen, verhalten würden. Gerüchte von Vergewaltigungen deutscher Frauen durch sowjetische Truppen in Ostdeutschland waren bis in den Westen gedrungen. "Im Ganzen herrschte aber eine optimistische Stimmung, man hielt die Amerikaner für fair und diszipliniert", schreibt Brack.

Gegen Mittag wurde es stiller. Kein Schuss fiel. In einen kupfernen Waschkessel verbrannte die Familie alles, was "in unserer Vorstellung beim ,Ami' hätte kompromittieren können, die Hakenkreuzfahne, die jemand vom Dachboden geholt hatte, NS-Broschüren, Mitgliedsbücher der Deutschen Arbeitsfront und andere Ausweise und Papiere".

Draußen sei es noch stiller geworden. Auf einmal habe man ein leises Brummen gehört, das immer lauter wurde und in ein Rasseln und Quietschen mündete. "Plötzlich krachte es laut - und wurde wieder still. Stimmen ertönten über uns, das Trampeln von Stiefeln, und plötzlich wurde oben die Kellertreppe aufgerissen. Und da standen sie, als dunkle Silhouetten gegen ein Fenster im Hintergrund sichtbar: zwei GIs in Stahlhelmen und Kampfanzügen, Taschenlampen und Maschinenpistolen auf uns gerichtet. Ich sehe noch die ängstlichen blassen Gesichter der Frauen neben mir. Diese gespenstische Szene im Halbdunkel des engen Raumes im Fuße der Kellertreppe wird mir immer in Erinnerung bleiben", schreibt Brack.

Mit seinem Schulenglisch hat er sich mit einem Soldaten unterhalten. Der habe ihm sogar eine Zigarette angeboten. In der darauf folgenden Woche seien mehrfach Panzerkolonnen durch Rade gefahren.

Mit dem Einmarsch der Amerikaner begannen zahlreiche Veränderungen. So erinnert sich Brack daran, dass in der Lindenbaumschule ein Quartier für Fremdarbeiter aus verschiedenen Ländern von Russland bis Frankreich eingerichtet wurde. Gleichzeitig gab es Plünderungen, auch in der Zeit zwischen dem 12. und 15. Juni, als die Amerikaner abrückten und die Briten einzogen und es für zwei bis drei Tage keine Kontrolle gab. Nächtliche Überfälle habe es in den Monaten April bis Juni besonders in den Außenortschaften auf den einsam gelegenen Bauernhöfen gegeben.

Die amerikanische Kommandantur saß an der Bredderstraße, zwischen II. und III. Uelfe bauten die Amerikaner einen Flugplatz. Der 8. Mai, der Tag des Kriegsendes, sei zuerst ein normaler gewesen, bis die Nachricht am Nachmittag Rade erreichte. "Die amerikanischen Soldaten fuhren mit ihren Jeeps durch die Stadt, schrien, jubelten und schossen Gewehre und Maschinenpistolen in die Luft ab. Wir wußten nicht, was das bedeuten sollte, aber wir ahnten, dass dies eine Art Siegesfeier für die Amerikaner sein mußte." Brack äußert sich auch zum "braunen Spuk". Mit dem Augenblick der Besetzung durch die US-Truppen war nichts mehr zu sehen von Hakenkreuz-Emblemen, von Hitlerbildern, von SS-Uniformen, es war, als ob es nie eine Hitlerjugend, nie einen NS-Ortsgruppenleiter, nie eine Kriegsgerichtsbarkeit, nie einen Aufmarsch von Männern und Frauen in braunen Uniformen gegeben hatte."

Im Juli sei die Wirtschaft langsam wieder in Gang gekommen, im Oktober wurden die Schulen geöffnet. Friedhelm Brack ging wieder zum Röntgen-Gymnasium nach Lennep. Der Weg zwischen Rade und Lennep wurde oft zu Fuß zurückgelegt, wenn der Milchwagen der Firma Busch vom Kreuz nicht kam und Schüler mitnehmen konnte.

(wos)
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