Radevormwald Wenn der Alkohol eine Belastung ist

Radevormwald · Die Situation von Angehörigen von Alkoholikern ist schwer. Gleichzeitig ist das aber ein Thema, das in der Literatur nur selten zu finden ist. Dabei gelten nach Angaben aus dem Bundesgesundheitsministerium 1,8 Million Menschen als alkoholabhängig, 9,5 Millionen Menschen deutschlandweit konsumieren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form.

Dahinter stehen in der Regel Familien, Ehepartner und Kinder. Wie diese Mitbetroffenen, häufig auch co-abhängig, mit der schweren Situation umgehen können, darüber hat die pensionierte Fachkrankenschwester für Psychiatrie Ulla Schmalz das Buch "Das Maß ist voll - für Angehörige von Alkoholabhängigen" veröffentlicht. Sie las jetzt im Heimatmuseum Hückeswagen auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft Suchtselbsthilfe Oberberg vor. Dabei schränkte sie gleich zu Beginn ein: "Eigentlich ist mein Buch gar kein Vorlesebuch, sondern ein Ratgeber." Die Kölnerin kennt den Mangel an Fachliteratur für betroffene Angehörige aus eigener Erfahrung: "Mein Mann ist keine 50 Jahre geworden, er ist am Alkohol gestorben", erzählte sie. Weil sie merkte, dass ihr etwas fehlte, habe sie das Buch geschrieben. Schmalz las nur wenig aus ihrem Buch vor. Vielmehr ergänzte sie die Passagen um persönliche Erinnerungen mit publizierten, literarischen Texten betroffener Angehöriger. Darunter war die Frau des bergischen Schriftstellers Ernst Herhaus. Sie beschrieb in einem Kapitel der Lebensbeichte ihres alkoholkranken Mannes, "Kapitulation" (1977), eindrucksvoll, dass sie seine Sucht nahe an den Selbstmord gebracht hatte.

Die Autorin skizzierte eindringlich, wie belastend das Leben für eine Familie mit einem alkoholkranken Elternteil sein kann: "Es wird viel geleugnet. Das Leugnen bedeutet Entlastung. Es ist auch eine Relativierung der Situation." Es gebe tausend gute Gründe dafür, dass gerade "eben mehr getrunken" werde. Das sei letztlich eine Überlebensstrategie. Erschwerend komme hinzu: "Alkohol ist omnipräsent. Er ist nicht tabuisiert - wie etwa das Rauchen." Umso mehr Bewunderung bringt die Autorin für alle Menschen auf, die "jeden Tag aufs Neue nein sagen müssen und das schaffen".

Quintessenz des Abends war: So schlimm die Alkoholsucht für den Süchtigen selbst ist, für den oder die Angehörigen ist sie mindestens genauso schlimm. Vor allem für die Kinder. "Denn das Schlimmste an der Sucht ist der Verlust der Würde.

Für Kinder gibt es im Umgang mit suchtkranken Elternteilen drei Regeln: fühle nicht, rede nicht, traue nicht", sagte Schmalz. Dadurch aber würden Kinder nichts von dem erleben, was sie für ein gesundes Aufwachsen benötigten. Jungen würden als Erwachsene in der Folge oft selbst alkoholkrank, viele Mädchen suchten sich alkoholkranke Partner. "Aber erstaunlich viele Kinder gehen unbeschadet aus einer solchen Kindheit hervor", sagte Schmalz und las eine Kindheitserinnerung des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton vor. Ein versöhnlicher Abschluss eines Abends, der insgesamt sehr nachdenklich stimmte.

"Das Maß ist voll. Für Angehörige von Alkoholabhängigen"; Psychiatrie-Verlag Köln. ISBN: 9783867391481, 176 Seiten, 14,95 Euro.

(RP)
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