Radevormwald Wo die Funktion über das Leben siegt

Radevormwald · Der Künstler Driss Ouadahi zeigt in einer Ausstellung des Von der Heydt-Museums in der Kunsthalle Barmen Werke, die sich mit Systemen der Abgrenzung befassen. Seine Bilder wirken wie Monumente der Mahnung und der Hoffnung.

 Der Künstler Driss Ouadahi vor einem seiner Werke, das sich mit moderner Architektur befasst.

Der Künstler Driss Ouadahi vor einem seiner Werke, das sich mit moderner Architektur befasst.

Foto: Von der Heydt-Museums

Ein junger Mann in schwarzer Hose und schwarzem Kapuzen-Pullover springt an einer meterhohen schwarzen Leinwand aus Chromoluxpapier hoch. Wieder und wieder. Ein handelsüblicher Maschendrahtzaun strukturiert die Leinwand. Der Springer hinterlässt Spuren auf dem Bild. Seine Hände hat er mit Kreide eingerieben. Das Video des Künstlers Driss Ouadahi zeigt Szenen der Vergeblichkeit. Die dunkle Wand ist nicht zu überwinden. Unmöglich. Bis plötzlich ein lautes "Raaatsch" ertönt. Der Mann im schwarzen Kapuzen-Pullover hat den oberen Rand des Bildes erwischt - die Leinwand zerreiß. Zurück bleibt eine strahlendweiße Fläche. Ein Schlupfloch in die Freiheit. Vielleicht.

Zu diesem Video gehört auch ein Triptychon. In der Ausstellung des Von der Heydt-Museums in der Kunsthalle Barmen hängt es an der Wand gegenüber. Es zeigt die zerrissene Leinwand. Der letzte Sprung hat sie in drei Teile gegliedert. Ein Monument der Mahnung und der Hoffnung. Eine Mischung aus Melancholie und Optimismus. Brüchige Mauern stehen für Veränderung, auch wenn ihre mächtige Gestalt das Unveränderliche repräsentiert.

"Systeme der Abgrenzung" heißt der Titel der Ausstellung. Der marokkanische Künstler Driss Ouadahi beschäftigt sich intensiv mit den Trennlinien in der Gesellschaft. Sein Blick heftet sich nicht an bestimmte Orte, sondern an ein globales Phänomen. Ob in Duisburg oder Paris, ob in Algier oder New York - überall trifft der Mensch auf monumentale Architektur, auf Hochhäuser mit hunderten Wohnungen, alle im gleichen Maßstab. Es sind Burgen der Anonymität.

Auf den großformatigen Bildern von Ouadahi sind keine Menschen zu erkennen. Ab und zu sind Bäume zu sehen als Erinnerungsposten an die Natur. Linien und Rechtecke, die wie geöffnete Lammellenrollos wirken, überziehen die Bilder von riesigen Wohnsilos. Der Betrachter wird zum Beobachter eines Lebensraums, in dem alles funktionieren soll, aber nichts sich entwickeln kann. Utopien, die denen von Weltarchitekt Le Corbusier ähneln, werden hier in Szene gesetzt. Freundliche Farben wählt Ouadahi, um die malerische Kraft der Wiederholung von geometrischen Formen zu betonen. Keine platte Anklage formuliert er gegen moderne Architekten, die an den Bedürfnissen der Menschen vorbei planen. Rasterformen, Trennwände, Vergitterungen und Zäune variieren die globalen Systeme der Abgrenzung und führen zur Ausgrenzung von menschlichen Lebensbedingungen. Diese Bilder verzahnen sich mit der Gegenwart. Stichworte wie "Flüchtlingswelle" und die zunehmende Prekarisierung der Lebensverhältnisse stellen sich gleich ein. Dazu passen auch Ouadahis Tunnel- und Passagenbilder. Die Flut an gleichförmigen Kacheln ruft die Atmosphäre zwielichtiger Umgebungen hervor. Solche Bilder von urbanen Plätzen beleuchten den Zustand der Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die durch Systeme der Abgrenzung immer weiter auseinanderzufallen droht.

(RP)
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