Dieter Requadt "Alkoholexzesse sind auch ein Feiertagsproblem"

Ratingen · Ob Rauschmittel- oder Online-Konsum - die Awo-Suchtberatung appelliert an Erwachsene, Vorbild für Jugendliche zu sein.

 Eine Flasche zu viel: Bei vielen Jugendlichen enden die ersten Bekanntschaften mit der alkoholischen Gärung in einer typischen Körperhaltung - bei manchen auch im Krankenhaus.

Eine Flasche zu viel: Bei vielen Jugendlichen enden die ersten Bekanntschaften mit der alkoholischen Gärung in einer typischen Körperhaltung - bei manchen auch im Krankenhaus.

Foto: Drogenberatung

Die Landesstatistiker von IT NRW zählen - nach zuletzt positivem Trend - wieder mehr jugendliche "Komasäufer". Spiegelt sich dieser Trend im Kreis Mettmann wider?

Requadt Nach unseren Informationen sind die Zahlen in Sachen Komatrinken zwischen 2000 und 2012 zwar alarmierend gestiegen, bei Jugendlichen aber in den vergangenen drei Jahren leicht rückläufig, in den anderen, und zwar allen Altersstufen, aber etwa gleichbleibend hoch. Im Kreis Mettmann haben wir festgestellt, dass belastbare Zahlen kaum zu kriegen sind. So trinken viele an Karneval in den benachbarten Großstädten und landen gegebenenfalls dann auch dort im Krankenhaus. Tatsächlich ist die Zahl von Jugendlichen und/oder Eltern, die sich wegen dieser Problematik an Suchtberatungsstellen im Kreis wenden, marginal - "Trends" sind demzufolge nicht zu erkennen.

Die Krankenkassen veranstalten eine Aufklärungskampagne, bei der Jugendliche unter dem Motto "bunt statt blau - Kunst gegen Komasaufen" Plakate mit kreativen Botschaften entwerfen. Sind solche Kampagnen wirksam?

Requadt Die Ausbildung von jugendlichen "Medienscouts" halten wir für sehr sinnvoll. Einerseits ist der Zugang sehr viel niedrigschwelliger, damit naheliegender, außerdem sind gleichaltrige Jugendliche oftmals sehr viel näher an der Realität, können aber auch nach Bedarf weitervermitteln, etwa bei Cybermobbing. Wenn der Einsatz an Schulen erfolgt, wird dafür gesorgt, dass dieses Thema auch entsprechend platziert und gewürdigt wird. Bei der Auseinandersetzung mit möglichen anderen "Suchtmitteln" ist dies leider zu selten der Fall.

Wenn nicht wegen Alkohol - aus welchen Gründen sonst suchen Jugendliche und Eltern ihre Beratungsstelle auf?

Requadt Bei der Beratung hier liegen in der Altersgruppe bis 25 Jahre Cannabiskonsumenten weit vorne. Dass Alkohol hier nicht die Rolle spielt, die ihm aufgrund der Konsummenge in der Gesellschaft zukommen müsste, hat mehrere Ursachen. Einerseits werden bei regelmäßigem Alkoholkonsum persönliche und soziale Folgeschäden in der Regel erst in späterem Alter erkennbar. Andererseits werden Auffälligkeiten eher bagatellisiert oder in Kauf genommen.

Gibt es saisonale Höhepunkte bestimmter Süchte?

Requadt Saisonale, im Sinne von jahreszeitlichen Unterschieden kann ich nicht erkennen. Da der Konsum von Alkohol "kulturbedingt" hoch ist, steigt er an Karneval, Feiertagen und bei Volksfesten auch bei Jugendlichen. Problematisch ist hier, wie bei allen Suchtmitteln, die Frage der Verfügbarkeit - mit der Verfügbarkeit steigt der Konsum!

Was kann Vorbeugung gegen diese Akzeptanz bewirken?

Requadt In der sogenannten Verhältnisprävention können Politik und Gesellschaft durchaus Maßstäbe setzen, etwa per Reglementierung durch Gesetze, bei Jugendschutz, Besteuerung, Werbung, Abgabestellen und -zeiten. Bei der Verhaltensprävention sind die Ansätze anders. Besonders wichtig: die Vorbildfunktion der Eltern.

Was machen Sie konkret?

Requadt Wir haben Angebote für alle Schulen und Einrichtungen, deren Zielgruppe Jugendliche sind, und veranstalten entsprechende Aktionen und Kampagnen. Wie erfolgreich so etwas sein kann, zeigt in Monheim die städtische Aktion "Nix zu suffe für kids", die wir seit einigen Jahren in Kooperation mit Kollegen der Jugendförderung an Schulen vor den Karnevalstagen anbieten. In Langenfeld bieten an den Schulen entsprechende Projektwochen an.

Übertriebenen Online-Konsum ist in Ihren Augen in der Regel keine Sucht, sondern eine "Verhaltensstörung". Was ist der Unterschied?

Requadt Hinsichtlich des Medienkonsums bei Jugendlichen tun sich viele Fragen auf. Während pathologisches Spielen als mögliche Suchterkrankung - Störung der Impulskontrolle - und als Krankheit international "normiert" ist, stellt sich dies bei der allgegenwärtigen Nutzung von Medien als weit schwieriger dar. Mobiltelefon und Computer sind in allen Lebensbereichen präsent - wo fängt "exzessiver" Konsum an, wieviel ist "normal", ab wann ist jemand "krank"?

Wie beugen Sie auf diesem Feld vor?

Requadt Der Schwerpunkt liegt in der Vermittlung von Medienkompetenz, bei der kritischen Auseinandersetzung mit der Frage, wieviel Nutzung notwendig ist, wo in Abhängigkeit von der jeweiligen Lebenssituation Grenzen liegen können und sollten und - im Hinblick auf Kinder und Jugendliche - durch Eltern und Pädagogen auch Grenzen gesetzt und durchgesetzt werden sollten. Es geht auch immer darum, Regeln zu entwickeln und mögliche Alternativen aufzuzeigen.

Wie sehr nimmt das Thema Online-Konsum die Awo-Suchtprävention inzwischen in Anspruch?

Requadt Dieses Thema stößt, wie wir festgestellt haben, gerade bei den Schulen auf großes Interesse und wir haben auch dort Präventionsangebote. Tatsächlich gehen Schulen mit der Nutzung von Mobiltelefonen sehr unterschiedlich um - es gibt bei manchen strikte Verbote auf dem Schulgelände, bei anderen aber auch entsprechende Regelungen zum Umgang und zur Nutzung. Alles Verhandlungssache - wie es zuhause auch sein sollte, denn die richtige Lösung ist schwer zu benennen. Ein Vorbild dürfen Eltern aber auch hier unbedingt sein.

THOMAS GUTMANN STELLTE DIE FRAGEN

(RP)
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