Ratingen Amerikaner kehrt zu den Wurzeln zurück

Ratingen · Der US-Bürger Gerald Adams ist neu in der Stadt. Dem Ort, den sein Ururgroßvater Carl Fink vor 125 Jahren Richtung USA verließ. So schließt sich der Familienkreis.

 Gerald Adams führte eher der Zufall nach Ratingen.

Gerald Adams führte eher der Zufall nach Ratingen.

Foto: Blazy Achim

Langsam und geduldig durchmisst er die Stadt. Immer wieder sucht er den Weg zur Kirche St. Peter und Paul, geht gemäßigten Schritts um das Bauwerk herum, betrachtet es von allen Seiten. "Es ist ebenso faszinierend wie unfassbar jetzt durch Straßen zu laufen, über die schon mein Ururgroßvater spaziert ist", sagt Gerald Adams. Der Mann, den alle "Jerry" nennen, ist waschechter Amerikaner und Ratinger Neubürger. "Damit schließt sich ein Kreis", denn besagter Ururgroßvater, ein gewisser Carl Fink, ist gebürtiger Ratinger - und verließ die Stadt 1892 in Richtung Amerika.

Als Jerry Adams im vergangenen Frühling nach Ratingen zog, hatte er "nur eine vage Vermutung, welche Rolle die Stadt in der Geschichte meiner Familie spielt". Gelandet ist der Ingenieur hier, weil er gerne reist und nach beruflichen Stationen als technischer Außendienstmitarbeiter in China und Brasilien "Lust auf Europa" hatte. Bereits 2009 war er privat im Saarland an der Grenze zu Luxemburg, das war so schön, dass er nun dauerhafter Deutschland erkunden wollte. "Und weil ich wusste, dass unsere Firmendependance in Düsseldorf Verstärkung sucht, habe ich mich dort hinversetzen lassen." Gefühlte Ewigkeiten war der 25-Jährige dort auf Wohnungssuche, ehe er sich im vergangenen März für Ratingen entschied.

Und dann kam der Faktor Zufall ins Spiel. "Ich hatte mich vorher noch nie mit Ahnenforschung beschäftigt", eigentlich war es nicht viel mehr als ein Fetzen Papier, der die Spurensuche auslöste. Darauf befanden sich die Namen "Agnes Tümmers" und "Eggerscheidt". Dass besagte Agnes die rechtmäßig angetraute Ehefrau ebendieses Carl Finks war, fand er bald heraus. Dass sie 1890 in St. Peter und Paul heirateten, viel später. "Vor einem Jahr kam ein junger Amerikaner zu mir ins Stadtarchiv", erinnert sich Stadtarchivar Erik Kleine Vennekate. Der sprach kaum deutsch und wollte die Geschichte seiner Familie erkunden. Diese Genealogie ist für Erik Kleine Vennekate nichts Überraschendes. "Auf uns kommen die verschiedensten Menschen schriftlich oder persönlich zu." Durch die Industrialisierung ab 1880 sind aus Nachbarländern wie den Niederlanden, Belgien und der Schweiz viele Leute als Arbeiter nach Ratingen für Jobs in den neuen Fabriken gekommen."

 Carl Fink (r.) mit einem namentlich unbekannten Begleiter vor einer Jagdhütte im nördlichen Wisconsin. Die Aufnahme entstand um 1900.

Carl Fink (r.) mit einem namentlich unbekannten Begleiter vor einer Jagdhütte im nördlichen Wisconsin. Die Aufnahme entstand um 1900.

Foto: Familie Adamas

Die jungen Finks gingen den umgekehrten Weg, sie wollten zusammen mit ihren beiden Kindern Carl jr. und Mary auswandern. "Warum wissen wir nicht", sagt Jerry Adams. Aber offensichtlich wurde dieser Wunsch auch dadurch leichter zu realisieren, weil bereits Finksche Verwandtschaft ausgewandert war, nämlich Carls Onkel Johann. "Ich habe bücherweise und seitenlang Eintragungen zum Namen 'Carl Fink' gefunden", erinnert Jerry Adams sich an die Mühsal bei der Recherche und viele Irrläufer. "Offensichtlich hießen früher viele Männer so." In akribischer Kleinarbeit haben der Stadtarchivar und Jerry dann aber wesentliche Phasen der Familiengeschichte rekonstruieren können: Als Agnes und Carl ihren Familien erzählten, Richtung Wisconsin auswandern zu wollen, war keiner begeistert. "Irgendwie haben wohl alle geahnt, einander nie wieder zusehen", sagt Jerry Adams. Deshalb kamen die Frauen der Tümmers-Linie auf die Idee, "ihre Liebe zueinander durch ein Schmuckstück zu bekunden, das sie immer tragen wollten", sie ließen sich identische Kettenanhänger in Kreuzform anfertigen. "Mit diesen Kreuzen haben sie sich fotografieren lassen" - und diese Bilddokumente von Wilhelmina, Agnes' Mutter, sowie den beiden älteren Schwestern Sophia und Maria kamen bei der Spurensuche im Archiv zutage. Der größte Knüller aber ist ein weiterer Fund: Ursula Schunk ist eine Urenkelin von Maria, geborener Tümmers, verheirateter Hanneman, und rechtmäßige Erbin von Marias Kreuz. "Eine reizende Frau, die ich zusammen mit meinem Bruder besucht habe", wie Jerry Adams erzählt. Der Weg war nicht weit - die 60-Jährige lebt ebenfalls in Ratingen. Ursula Schunk wusste wiederum aus den Erzählungen ihrer Großmutter, dass einstmals Verwandte nach Wisconsin ausgewandert waren, von denen man nie wieder etwas gehört habe.

Also kannte sie auch den Rest des erfolgreichen Finkschen Werdegangs nicht. Als wohlhabende Gutsbesitzer lebten sie glücklich bis zu Agnes' Tod im Juni 1916. 90-jährig starb Carl 1956. Von den insgesamt 13 Kindern, die Agnes ihrem Carl gebar, erreichten neun das Erwachsenenalter. "Darunter meine Urgroßmutter Agnes Fink, die Frank Adams heiratete", sie bekamen unter anderem Gerald. Der ist inzwischen 84 Jahre und offensichtlich quietschfidel - zusammen mit seiner Ehefrau Jean (79) und Mark, ihrem Sohn, der Jerrys Vater ist, kommen sie auf Stippvisite nach Ratingen. "Sie alle waren total von den Socken, dass ich an dem Ort unserer Familienwurzeln lebe."

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