Interview Christian Mörsch "Auch Kinder sollten fasten lernen"

Ratingen · Der Leiter der Stress-Management-School in Erkrath erklärt, wie man den Nachwuchs zum Verzicht ermuntert.

Psychologe Christian Mörsch ist stolz, dass sein Sohn Silas in der Fastenzeit freiwillig auf Süßigkeiten und Spielekonsole verzichtet.

Psychologe Christian Mörsch ist stolz, dass sein Sohn Silas in der Fastenzeit freiwillig auf Süßigkeiten und Spielekonsole verzichtet.

Foto: Dietrich Janicki

Manche von uns stecken mitten in der Fastenzeit. Andere haben sie schon abgebrochen, weil die Selbstdisziplin nicht reichte. Was ist eigentlich mit Kindern? Sollten auch sie versuchen, eine Zeit lang zu verzichten? Und worauf könnten Kinder Ihrer Ansicht nach eine Zeit lang verzichten? Was wäre da sinnvoll und warum?

Mörsch Vor allem sind kleine Ziele sinnvoller als zu große. Am Ende zählt das gute Gefühl, es geschafft zu haben. Wichtig ist bei der Zielsetzung der Glaube daran, es schaffen zu können. In der Psychologie nennt man das Selbstwirksamkeitserwartung. Wer ein Verzichtsziel erreicht hat, wird ermutigt, auch im weiteren Leben nicht sofort aufzugeben, sobald es schwierig oder unangenehm wird.

Wie kann denn so ein kleines Ziel aussehen?

Mörsch Verzicht auf bestimmte Süßigkeiten oder auf das Handy - zumindest zeitweise, es genügen schon bestimmte Uhrzeiten. Oder statt Limo Wasser zu trinken. Sehr sinnvoll ist es, einen Ausnahmetag einzubauen. Denn 40 Tage am Stück zu verzichten, das ist sehr lang und wird von Kindern oft unterschätzt. Zum Beispiel kann man den Sonntag ausnehmen. Das sieht auch die Kirche so. Der Sonntag ist kein Fastentag.

Was macht Verzichten für Kinder und auch Erwachsene überhaupt so schwer?

Mörsch Dass man ständig mit dem beschäftigt ist, auf das man verzichtet. Was wir beachten, verstärken wir. Und dann die permanente Verlockung im Alltag. Der Vorrat im Küchenschrank beispielsweise. Es ist typisch menschlich, kurzfristigen Verlockungen zu erliegen, denn die Befriedigung daraus erfolgt sofort.

Was kann man dagegen tun? Wie macht man Kindern den Verzicht auf Handys oder Schokolade schmackhaft, wo wir Erwachsenen doch trotz ausgereiftem Verstand meist nicht in der Lage sind, konsequent zu sein - und dann auch keine guten Vorbilder sind?

Mörsch Indem man einen positiven Ersatz anbietet, etwas, worauf die Kinder sich freuen können. Für den handyfreien Abend zum Beispiel ein gemeinsames Gesellschaftsspiel. Man kann Kindern auch vorschlagen, sich etwas auszusuchen: statt tägliches Computerspielen einen Fahrradausflug am Wochenende oder schwimmen gehen. Irgendetwas, das nichts oder nicht viel kostet. Was noch hilft, sind Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen, mit denen Kinder lernen, sich selbst besser wahrzunehmen, Wohlbefinden aufzubauen und Impulsen nicht sofort nachzugeben. Man kann ein- bis zweimal pro Woche versuchen, achtsamer und langsamer zu essen und nicht automatisch nach dem Essen zum Schokoriegel zu greifen. Stattdessen zehnmal durchatmen und dann bewusster zugreifen! Hilfreich ist auch das Einprägen von Sätzen wie: Ich esse das, was gut für mich ist. Entspannungs- und Achtsamkeitskurse mit dem Schwerpunkt Autogenes Training gibt es nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder.

Glauben Sie, zeitweiliger Verzicht kann für die Persönlichkeitsentwicklung von Mädchen und Jungen sinnvoll sein?

Mörsch Auf jeden Fall. Wenn es klappt, lernen Kinder zu warten - in einer Gesellschaft, in der sonst so oft alles immer sofort zur Verfügung steht. Sie lernen manches wieder mehr zu schätzen. Und sie üben sich in Geduld und Ausdauer, die man im Leben immer wieder braucht.

Haben Sie schon einmal mit Ihren eigenen Kindern diesen Versuch gestartet? Und wenn ja, wie ist er ausgegangen?

Mörsch Ja, meine Tochter Janine hat im vorigen Jahr konsequent 40 Tage lang auf ihr damaliges Lieblingscomputerspiel "Sims 4" verzichtet. Das ist ihr schwer gefallen, hat aber funktioniert. Und mein Sohn Silas verzichtet zurzeit auf Süßigkeiten und Wii-Spiele. Wichtig ist, dass sich Kinder selbst etwas aussuchen, worauf sie verzichten wollen. Das klappt gut. Mein Sohn hat sogar beim Besuch von Freunden beim Wii-Spiel nur zugesehen. Obwohl die anderen den ganzen Abend damit beschäftigt waren.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE RP-MITARBEITERIN ISABEL KLAAS

(RP)
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