Ratingen Der Hut, das Objekt der Begierde

Ratingen · "Chapeau" lautet der Titel der gut besuchten Sonderausstellung, die das LVR-Industriemuseum derzeit präsentiert.

Am Sonntag konnten Interessierte sich bei einer öffentlichen Führung im Museum Cromford Höhepunkte der 150-jährigen Hut-Geschichte zeigen lassen. "Chapeau" lautet der Titel der Sonderausstellung, die das LVR-Industriemuseum derzeit präsentiert.

"Das macht mir ganz besonders großen Spaß", ließ sich Anima Knoblauch nicht lange bitten. Ist es sonst in der Ausstellung verboten, eine der ausgestellten Kopfbedeckungen anzufassen oder gar aufzusetzen, gibt es eine Nische mit großem Spiegel, in der das Ausprobieren verschiedener Mützen, Kappen, Barette und wagenradgroßer Strohgebilde mit üppigem Blumenschmuck ausdrücklich gewünscht ist. "Denn ein Hut macht gleich einen anderen Menschen aus einem", wusste die Seniorin. "Ich habe ein Hutgesicht", will sagen: Auch ein Topf würde der Ratingerin vermutlich gut zu Gesicht stehen. "Aber nur an Karneval trage ich etwas auf dem Kopf." Im täglichen Leben käme sie sich zu verkleidet vor.

Zusammen mit weiteren elf Frauen und einem "Quotenmann" ließ sie sich Sonntagmittag von Elena Leonhardt entlang der wunderbaren Exponate aus 150 Jahren führen. Bei schwül-warmen Temperaturen entpuppte sich das LVR-Industriemuseum als "Ort, an dem man erleben darf, was die Hutkultur einmal war", wie Britta Reupke (24) sagte. Vorbei an glänzenden Zylindern mit starken Lichtreflexen und matten Filz-Varianten, beide ursprünglich den Revolutionären der amerikanischen Freiheitsbewegung rund um die Boston Tea Party anno 1770 zuzuordnen und später als sogenanntes Angstrohr verulkt, streifte die Tour unter anderem Aspekte der Herstellung. "Modistin zu sein, galt zunächst als durchaus verruchter Beruf", führte Elena Leonhardt aus. Der Job der Putzmacherin war einer der ersten Frauenberufe überhaupt, da war die Gesellschaft skeptisch. Die kreativen Damen trugen ihren Namen zurecht. Denn viele Frauen ließen ihren alten, vielfach bereits unmodischen Hut mit allerlei Bändern, Spitzen und Bordüren aufpeppen, neudeutsch "pimpen", also aufputzen.

"Natürlich trugen unsere Mütter Hut, verließen sie das Haus", sagte eine ältere Dame. "Die Frau stellte den wirtschaftlichen Erfolg ihres Mannes auf dem Boulevard zur Schau", ergänzte Elena Leonhardt. Weitere gute Gründe, dem Anlass entsprechend eine schmucke Kopfbedeckung zu tragen, war das bis in die 1920er Jahre vorherrschende Schönheitsideal einer milchweißen Haut. Nur Arbeiter setzten sich der Sonne aus, bei einer Dame von Welt war Weiß und selbstverständlich sommersprossenlos très chic, weshalb glamouröse Sonnenhüte Schutz versprachen. Krinolinen und Tournüren machten damals ihre Hüte überaus weiblich. Der Erste Weltkrieg veränderte alles. Waren der Frau bis dahin Kinder, Küche und repräsentative Pflichten vorbehalten, musste sie selbst im bürgerlichen Milieu plötzlich berufstätig werden.

Damals angesagte Topfmützen wurden wie Helme oder Schirmmützen weit ins Gesicht gezogen. Und mangels Material hielt das Kopftuch nach dem Zweiten Weltkrieg Einzug. Die zupackende Trümmerfrau knotete es unterm Kinn, die mondän-ambitionierte Dame wickelte daraus etwas Turbanähnliches. "Und mit den Toupierfrisuren der 60er Jahre kommen Hüte endgültig aus der Mode." War er bis dahin noch immer etwas wie ein Statussymbol und gehörte es zum gepflegten Umgang, nicht bloß "hallo" zu murmeln, sondern voreinander den Hut zu zeihen, galten Bowler & Co. nach der Kulturrevolution der 68er als spießiges Accessoire der Adenauer-Ära. "Ich fand es spannend, mir hat es gefallen", so Britta Reupke.

(vvd)
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