Ratingen Ein Buch über die Kindheit in der Goethestraße

Ratingen · Anneliese Vater und Reinhild Zerres haben mit Nachbarn von damals in sechs Jahren Bilder und Erinnerungen gesammelt.

 Anneliese Vater, Reinhild Zerres und Martin Meyer-Pyritz mit ihrem Buch über ihre Kindheit in der Goethestraße.

Anneliese Vater, Reinhild Zerres und Martin Meyer-Pyritz mit ihrem Buch über ihre Kindheit in der Goethestraße.

Foto: achim blazy

Es ist der alte Hut: Wenn einer erst einmal anfängt, kommt eine Sache ins Rollen - die Sache ist in dem Fall eine gemeinschaftliche Erinnerung an ein Wohnhaus in Ratingen. Fast eine Villa, die gar nicht mehr steht. Doch innerhalb von wenigen Jahrzehnten waren in diesem Haus und seinen nachträglichen Anbauten 25 Personen zu Hause. Über deren Geschichte und Geschichtchen haben Anneliese Vater, geborene Hoffmann, und ihre beste Freundin Reinhild Zerres, geborene Bastian, mit einigen Nachbarn von damals in sechs Jahren Bilder und Erinnerungen zusammengetragen, die nun ein ganzes Buch füllen.

 Im Jahr 1938, als dieses Foto von der Villa gemacht wurde, kaufte das Ehepaar Damm das Haus. Die "Gaststätte zum weißen Rößl" im Erdgeschoss gab es nicht mehr, die Anbauten gab es noch nicht.

Im Jahr 1938, als dieses Foto von der Villa gemacht wurde, kaufte das Ehepaar Damm das Haus. Die "Gaststätte zum weißen Rößl" im Erdgeschoss gab es nicht mehr, die Anbauten gab es noch nicht.

Foto: Nn

Eins von zehn Exemplaren liegt jetzt im Ratinger Stadtarchiv und kann von Interessenten - vielleicht ehemaligen Nachbarn - eingesehen werden. "Am Ende konnte nicht alles, was zusammengetragen worden war, in diesem Buch berücksichtigt werden. Besonders die Unterlagen zum Gebäude sind viel zu kurz gekommen", sagen die Freundinnen jetzt verheißungsvoll: "Das lässt auf eine Fortsetzung hoffen."

 Hertha und Fritz Damm konnten erst nach 1954 über die Villa verfügen, nachdem die britische Besatzung die Beschlagnahme aufgehoben hatte.

Hertha und Fritz Damm konnten erst nach 1954 über die Villa verfügen, nachdem die britische Besatzung die Beschlagnahme aufgehoben hatte.

Foto: Nn

Das Haus, 1909 von Carl Dornseiffer geplant und gebaut, stand an der Goethestraße, die damals noch zum Amt Eckamp gehörte, und hatte zunächst die Hausnummer 2. Vier Jahre später, als Wilhelm Klingenberger das Gebäude übernahm, hatte es die Hausnummer 4. Und - warum auch immer - lautete die Adresse ein Jahr nach dem Krieg Goethestraße 7. Inzwischen war Eckamp aber auch eingemeindet.

 In Richtung Schillerstraße war der Blick aus dem ersten Stockwerk über den großen Garten noch weitgehend unverbaut, wie das Bild aus dem Jahr 1957 zeigt.

In Richtung Schillerstraße war der Blick aus dem ersten Stockwerk über den großen Garten noch weitgehend unverbaut, wie das Bild aus dem Jahr 1957 zeigt.

Foto: Nn

Das riesengroße Grundstück wurde ebenfalls nach und nach in Teilstücken verkauft - immer noch reichte der Garten, um den Kindern, die dort wohnten, als wahres Paradies zu erscheinen. Das Erdgeschoss war lange keine Gaststätte mehr, das Eigentümer-Ehepaar Damm residierte im angebauten Gärtnerhaus, weil die britische Besatzung bis zum Jahr 1954 ebenerdig ein Offizierskasino betrieb. Weil das so lange gedauert hatte, wurde in der Villa mit der großen, geschwungenen Holztreppe im Haus und den vielen Zimmern (überall waren Waschbecken installiert) auch kein Altenheim mehr eingerichtet, wie es gleich nach dem Zweiten Weltkrieg geplant war.

Das Fotobuch, das immerhin 118 Seiten hat, belegt mit vielen Fotos aus der Zeit und hilfreich kommentierenden Texten, wer sich wie und wo zu Klein- oder Großgruppen aufgebaut und in die Linse gelächelt hat. Es ist die Rede vom Vater der Hausbesitzerin, der nach dem Mittagessen die Zeitung las und dem Hofhund Fuchsi sein leeres Eierlikörglas zum Ausschlecken auf den Boden stellte, vom Ziegenbock, der Anneliese Angst machte, wenn sie auf dem Weg zum draußen angebauten Plumpsklo war, von der attraktiven Mitbewohnerin Elfriede, die "irgendwann einfach da war", für jeden einen Ratschlag parat hatte und "gut wusste, wie man einen Mann behandeln muss".

Nun war es nicht etwa so, dass sich oberhalb des Erdgeschosses großzügige Wohnungen aneinander fügten - manchmal mussten sich viele Bewohner einen Raum teilen. Bei Familie Bastian gab es ein Fernsehgerät, sehr geschätzt bei den Olympischen Spielen 1956 und 1960, um das sich die Hausgemeinschaft versammelte; vom Spielen "dreckige" Kinder durften dann aber nicht in die gute Stube, sondern mussten sich auf die Treppe setzen und durch die offene Tür gucken. Beim "Hexer" hatten sie draußen zu spielen. Wer finanziell schwach auf der Brust war, konnte das mit hausmeisterlichen Tätigkeiten ausgleichen.

Die ersten Touren der elektrischen Waschmaschine wurden vom Badewannenrand aus beobachtet, im Sommer wurde gemeinsam im Garten gejätet und im Winter vorm Haus Schnee geschippt. Umzüge fanden mit Hilfe eines Bollerwagens statt, der später zum Spielgerät wurde. Und immer wieder waren interessante Freunde des Hausbesitzer-Ehepaars Damm zu Gast an der Goethestraße in der Villa mit den wechselnden Hausnummern. Und es gibt Fotos, die so aussehen, als seien sie aus dem Album der eigenen Oma. Nur der leicht gezackte Rand fehlt. Es gab auch eine Frau namens Tante Paula, deren Pflaumenbäume niemand anrühren durfte - deren Herkunft aber bis heute im Finsteren liegt.

Urlaubsgrüße und Heirats- wie Geburtsannoncen, Todesanzeigen und viel Erinnerliches finden in dem Buch Platz. "Großen Streit hat es zwischen so vielen Leuten nicht gegeben. Aber wir haben generell 'Sie' zueinander gesagt" wissen Anneliese und Reinhild, "vielleicht war das die Garantie für den Frieden".

(gaha)
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