Ratingen Harte Wirklichkeit: Polizist statt Tatort-Star

Ratingen · Jeder weiß eigentlich, dass im Fernsehen viele Berufe zu bloßem Kino verhunzt werden. Aber kaum einer kann sich vorstellen, dass die Schutzpolizisten im tatsächlichen Leben nichts mit der TV-Darstellung zu tun haben.

 Bezirksbeamter Andreas Fürst im Gespräch mit Passanten am Berliner Platz. Einst war er "dein Freund und Helfer", heute definiert der Arbeitgeber seine Attribute wie folgt: bürgerorientiert, professionell, rechtsstaatlich.

Bezirksbeamter Andreas Fürst im Gespräch mit Passanten am Berliner Platz. Einst war er "dein Freund und Helfer", heute definiert der Arbeitgeber seine Attribute wie folgt: bürgerorientiert, professionell, rechtsstaatlich.

Foto: Blazy, Achim (abz)

Wenn Dietmar Bär mit wehendem Mantel zum Tatort eilt und das Bodenpersonal anherrscht, endlich das Flatterband festzuknoten, oder wenn Til Schweiger in die Szene grätscht und "appfühn" nuschelt, dann machen sich im Fernsehen meistens schwache Gestalten im blauen Hemd daran, niedere Hilfsdienste zu leisten. So bekommt die Öffentlichkeit die Schutzpolizei vorgeführt: Die Tatort-Götter bringen die Handlung nach vorn, die Schupos den Tatverdächtigen in den Streifenwagen. Und deshalb ist es auch kein Wunder, dass ein Einbruchsopfer dann, wenn ein Mann der Ratinger Wache zur Ermittlung erscheint, vorwurfsvoll nach "den richtigen" Polizisten fragt.

 Oberkommissar Sven Sondermann in der Zentrale der Polizeiwache am Düsseldorfer Platz. In Ratingen tun rund 60 richtige Polizisten Dienst - und das in mehreren Schichten.

Oberkommissar Sven Sondermann in der Zentrale der Polizeiwache am Düsseldorfer Platz. In Ratingen tun rund 60 richtige Polizisten Dienst - und das in mehreren Schichten.

Foto: achim blazy

In Ratingen tun rund 60 richtige Polizisten Dienst - und das in mehreren Schichten: von 6.30 bis 13.30 Uhr im Früh-, daran anschließend bis 21.30 Uhr im Spät- und von 21.30 Uhr bis morgens im Nachtdienst. Knapp 20 sind Frauen. In den Stadtteilen Lintorf, Hösel und West gibt es "Anlaufstellen", in denen die jeweiligen Bezirksbeamten auch zu sprechen sind - allerdings nicht zu festen Zeiten.

Die zehn Bezirksbeamten, die in ihrem Kiez unterwegs sind, werden natürlich nicht mal hier, mal da eingesetzt; denn sie können nur dann mit großer Effektivität arbeiten, wenn sie ihre Pappenheimer immer wieder treffen, wenn auch sie erkannt werden (und das nicht nur an der Uniform), wenn sie Vertrauen aufgebaut haben. Hauptkommissar Andreas Fürst, 56 Jahre alt und der Mann der Polizei, der in West am Ball ist, weiß um die besonderen Bedingungen des Stadtteils. Früher hätte die Behörde ihn mit der beschaulichen Bezeichnung "dein Freund und Helfer" auf die Piste geschickt. Nun ist er mit den Attributen "bürgerorientiert, professionell, rechtsstaatlich" unterwegs. Die Arbeit aber ist dieselbe.

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Foto: dpa, kde

Dennoch habe sich einiges geändert, versichern Wachleiter Elmar Hörster und er, beide langgedient, einmütig: "Der Respekt von und vor Menschen ist merklich geschrumpft, die Bereitschaft, heftigste Diskussionen anzuzetteln, unglaublich gewachsen. Und für die Nachbarschaft interessiert sich mancherorts kaum noch jemand".

So steigt ein Jugendlicher eher klaglos vom Rad, wenn er im Fußgängerbereich flott unterwegs war, während ein Best-Ager gern mal zu einer Grundsatz-Auseinandersetzung anhebt. So kommen - weil es manchem Anwohner völlig gleichgültig ist - auf der Ratinger Insel der Seligen häufig Airbags, Navigationsgeräte und ganze Scheinwerferanlagen ruckzuck weg, wenn sich kriminelle reisende Täter ans Werk machen. Und so macht es manchen Anwohner in einer Siedlung nichts aus, wenn nebenan Scheiben klirren und dann keinerlei Geräusch mehr zu hören ist. Die Tendenz bei Wohnungseinbrüchen: fallend. Die bei Fahrraddiebstählen: steigend.

Alle Anrufe in der Leitstelle werden gespeichert und dokumentiert, alle Fahrten, alle Einsätze. Das macht die aktuelle Technik möglich. Daraus leitet man dann auch ab, dass die "Einsatzreaktionszeit" durchschnittlich 14 Minuten und 30 Sekunden beträgt. Wenn's um Leib und Leben geht, sind die Beamten natürlich schneller da.

Wer auch nur einige der 80 TV-Sendungen mit den Bochumer Polizisten Toto und Harry (Hörster: "Wir sind anders") verfolgt hat, wer den allmählichen Niedergang von tatsächlichen Fällen hin zum Plaudertaschen-Einsatz erlebte, der weiß, dass sich manches dennoch mit einem guten Machtwort regeln ließe. Das allerdings erleben die Beamten in Ratingen auch nur noch selten: Am beliebtesten ist heftiger Stress, gefolgt von Anzeigen. Und sind die erst mal erstattet, zieht das einen Rattenschwanz von Schriftkram bis hin zu Auftritten vor Gericht nach sich. Wobei es auch dort Staunenswertes gibt.

Im vergangenen Jahr wurde die Ratinger Polizei zu 12501 Einsätzen gerufen, wobei sie 7303 Straftaten und 2905 Verkehrsunfälle zu "bearbeiten" hatte. Sie versuchte nach bestem Wissen, den Beteiligten gerecht zu werden - wozu es unter anderem gehört, das Martinshorn in nächtlichen Wohnstraßen manchmal nicht einzuschalten (was eigentlich tönen muss), wenn das Blaulicht schon warnt. Polizisten sind uniformiert, aber auch Menschen.

"Und wenn du einmal nicht aufpasst, kann das das letzte Mal sein." Andreas Fürst weiß, wovon er spricht.

(gaha)
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