Ratingen Heimat ist neue Kraft aus alten Wurzeln

Ratingen · Das Geburtshaus, ein Geruch oder die Menschen - was uns an einen Ort bindet, kann sehr unterschiedlich sein.

 Georg Hoberg, Baas der Ratinger Jonges, fühlt sich auf dem Marktplatz, im Herzen der Altstadt, besonders wohl und heimatverbunden.

Georg Hoberg, Baas der Ratinger Jonges, fühlt sich auf dem Marktplatz, im Herzen der Altstadt, besonders wohl und heimatverbunden.

Foto: Achim Blazy

Wäre Georg Hoberg ein Wünschelrutengänger, seine magische Astgabel würde genau auf diesen Punkt zeigen: den Marktplatz in Verbindung mit der Pfarrkirche St. Peter & Paul. "Das ist die Herzkammer von Ratingen. An dieser Stelle spüre ich ,Heimat' besonders deutlich", sagt der Baas der Ratinger Jonges. "Die Heimat ist für mich ein Ort, an dem ich über viele Jahre hinweg Wurzeln gebildet habe."

Natürlich ist der mit rund 1000 Mitgliedern größte Heimatverein am Ort die erste Adresse, wenn es um so etwas so Diffiziles geht wie die Vermessung des Begriffs "Heimat". Übersetzer kommen regelmäßig ins Straucheln, wenn sie das Wort aus dem Deutschen in alle Welt hinaus übertragen sollen. Es gibt in anderen Sprachen keinen deckungsgleichen Begriff dafür. "Home" und "Homeland" im Englischen gehen wie "Heim" zurück auf den Germanischen Wortursprung: "Wohnplatz", also da, wo jemand sein Haus errichtet hat. Laut der Leipziger Medienwissenschaftlerin Dr. Judith Kretzschmar entstand das spezifisch Deutsche am Begriff Heimat im 13. Jahrhundert als sich im Mittelhochdeutschen "Heim" mit der Endung "-at" verband, die laut Kretschmar "liegen" bedeutet. "Heimat" also im Sinne "da, wo das Heim liegt".

Das hatten die Ratinger Jonges lange Zeit verinnerlicht. Denn Mitglied durfte bei ihnen nur werden, wer in Ratingen geboren wurde. "Das schränkte den Kreis potenzieller Mitglieder enorm ein", sagt Hoberg. Also lockerten die Jonges ihre Aufnahmeregeln. Erst hieß es, dass man mindestens seit 30 Jahren in Ratingen wohnen müsse. Dann wurde Schwellenwert Heimat auf 20 Jahre gesenkt. Heute muss in Ratingen wohnen, wer Mitglied werden möchte. Also gibt es Ratinger Jonges mittlerweile in aller Welt. Mit wohl gehüteten Erinnerungen an den Markt und Peter&Paul.

"Eigentlich machen die Menschen die Heimat aus; nicht die Gebäude", überlegt Barbara Lüdecke, die Vorsitzende der Lintorfer Heimatfreunde im RP-Gespräch laut. Man trifft sich. Man schwätzt miteinander. "Dieses Miteinander in den Vereinen macht Lintorf aus", beobachtet die Heimatfreundin. Dabei treffen sich innerhalb der 644 Mitglieder großen Schar die Generationen; und die Alten erzählen denen unter 40, wie sich das damals alles entwickelt hat, in Lintorf. Von der Herkunft her ist jeder Lintorf-Fan bei den Heimatfreunden willkommen. Denn Heimatliebe kennt keine Unterschiede nach Nationalitäten. Diese Erfahrung hat sich Reinhard Schulze Neuhoff buchstäblich bereits ertanzt. Seit einem Monat steht er an der Spitze des Heiligenhauser Geschichtsvereins; sehr viel länger schon gehört der Mann mit dem markanten Bart zur Volkstanzgruppe Achterrüm. Weil es in dieser Region keine eigenständigen Volkstänze gibt, sind diese 20 Hobby-Tänzer mit ihren Schritten und Kostümen weltweit unterwegs. In skandinavischen Ländern ebenso wie in Griechenland, "wo wir im Rahmen einer Auftrittsreise einen Sirtaki getanzt haben, dass es Sonderapplaus von den Griechen gab", erzählt Schulze Neuhoff.

Die "Heimat" sei halt bei jedem mit anderen, markanten Dingen verbunden. "Das kann der Geruch von Mutters Bratkartoffeln sein oder auch das Haus, in dem man aufgewachsen ist."

Der Geschichtsverein widmet sich dem Heljenser Platz - der Heiligenhauser Mundart - und betreibt das Museum Abtsküche; aber nicht nur zur Bewahrung der alten Bräuche.Reinhard Schulze Neuhoff ist sich vielmehr sicher: "Es gibt keinen Fortschritt ohne Tradition."

Diesen Heimat-Satz unterschreibt auch Gero Keusen von der St. Sebastiani-Schützenbruderschaft Ratingen sofort. "Wir leben bereits in fünfter Generation in Ratingen - immer an der Wallstraße 23." Der Urgroßvater startete dort mit einem Gerberbetrieb, Opa Keusen leitete die Ratinger Feuerwehr, Gero Keusen ist Chef der Schützenbruderschaft - wie sein Vater. Ist das nicht eine Last - keinen Schritt tun zu können, ohne dass man dabei sehr genau beobachtet wird. Keusen muss nicht nachdenken, um zu antworten: "Nein, für mich ist das eine Freunde, mich so für meine Heimat einbringen zu können." Heimat, das sei für ihn immer wieder neue Kraft - aus alten Wurzeln.

(RP)
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