Ratingen Im Stadtarchiv tief in die Geschichte eintauchen

Ratingen · Die Einrichtung an der Mülheimer Straße beherbergt auch eine Urkunde von 1380. Wer mag, kann nach Anmeldung Einsicht nehmen.

 Archivleiterin Erika Münster-Schröer öffnet den Schrank mit den historischen Dokumenten über die Ratinger Geschichte nur zu besonderen Gelegenheiten.

Archivleiterin Erika Münster-Schröer öffnet den Schrank mit den historischen Dokumenten über die Ratinger Geschichte nur zu besonderen Gelegenheiten.

Foto: achim blazy

Als Ratingen 1276 zur Stadt erhoben (und ab da nie wieder heruntergestuft) wurde, lebten 1000 Menschen in seinen Mauern. In Köln gab es zum selben Zeitpunkt auch nur 10 000 Bürger, in Paris, London und Lyon jeweils rund 50 000. Die Entwicklung der genannten Städte verlief seitdem bekanntlich unterschiedlich, auch, was den Zuzug betrifft. Was sich hier in den weiteren Jahrhunderten ereignete, sei jedoch nicht verglichen, sondern wertgeschätzt. Und gesammelt ist es im Gedächtnis der Stadt, in seinem Archiv.

Nach einer Überlieferung "stat kisten op dem torme" aus dem Jahr 1440 weiß man schon eine Menge. Die erwähnte Kiste, die mit zwei Schlössern gesichert war, stand vermutlich in der Michaelskapelle von St. Peter und Paul und enthielt die pergamentenen Urkunden der Stadt. Die Kiste ist hinüber, aber 350 Urkunden blieben erhalten und sorgen mit ihrer stattlichen Zahl für einen besonderen Status des Ratinger Archivs. Heute werden sie bei konstanter Feuchte und einer Temperatur zwischen 16 und 18 Grad aufbewahrt und frisch gehalten.

Sie sind aus sauber geschabter Tierhaut, mit gotischen Kleinbuchstaben von Hand beschriftet und sensationell gut erhalten. Geschrieben wurde mit Federkielen und einer Tinte, die aus Eisenvitriol, Galläpfeln, Wasser und Gummi arabicum hergestellt wurde und erst auf dem Untergrund durch Oxidation tiefschwarz wurde, was etwa einen Tag dauerte.

 Historische Dokumente mit Siegel werden mit Handschuhen angefasst.

Historische Dokumente mit Siegel werden mit Handschuhen angefasst.

Foto: Blazy, Achim (abz)

Das städtische Gedächtnis wurde mal per Erlass gut gefüttert, mal liederlich behandelt. So verkaufte die Stadt 1870 einen umfangreichen Bestand an Akten an die Ratinger Papierfabrik. Auch das gehörte zu den Finessen städtischen Erwerbsstrebens: Früher schon hatte Ratingen die Stadtgräben zur Fischzucht vermietet und die Türme zur Taubenzucht.

Im Jahr 1941 gab es ein erstes eigenes Archivgebäude im Trinsenturm mit Aktenregalen und Benutzerraum; 1973 wurde das Archiv im neuen Rathaus an der Minoritenstraße untergebracht, nach der kommunalen Neugliederung 1975 Zuständigkeitsbereich und die Aktenbestände stark erweitert und alles im Jahr 1977 im "Weidlehaus"/Stadtmuseum an der Lintorfer Straße untergebracht. Seit 1987 beherbergt das Gebäude Mülheimer Straße 47 das Stadtarchiv - das stattliche Gebäude, in dem auch die Anne-Frank-Schule zuhause und das den alten Ratingern noch als Lehrerseminar im Gedächtnis ist.

Seit 1995 leitet die Historikerin und Germanistin Erika Münster-Schröer das Archiv. Wenn Sie von den Ratinger Anfängen, von Begebenheiten und historischen Verflechtungen berichtet, sind nicht nur Zuhörer gefesselt, sondern man merkt auch ihr an, mit welcher Begeisterung sie von der Geschichte erfüllt wird. Während man mit Zahlen wie "3, 3, 3 war bei Issos Keilerei" wirklich nur den albernen Spruch und keine Zusammenhänge im Kopf hat, treten in den Berichten der Archivleiterin die mittelalterlichen Frauen und Männer aus dem Nebel der Geschichte hervor und bewegen sich in einem farbigen Szenario.

 Diese Urkunde vom 20. September 1380 legt die Abgaben für die drei Ratinger Beginen fest.

Diese Urkunde vom 20. September 1380 legt die Abgaben für die drei Ratinger Beginen fest.

Foto: stadtarchiv

So schildert sie zum Beispiel die Arbeit von Handwerker-Ehepaaren im Mittelalter, bei denen die Ehefrau die kaufmännischen Arbeiten erledigte, während der Mann "hinaus ins feindliche Leben" ging. Wollte eine Witwe weiter arbeiten, musste sie wieder heiraten. Allerdings gab es auch Tätigkeiten, die ohne Ehemann und zünftigen Zustand möglich waren: das Brauen von Bier, mit zwei Prozent Alkohol eher allgemeines Lebensmittel.

Der ehemalige Stadtdirektor Alfred Dahlmann - und nicht nur er - könnte sich gut vorstellen, dass Münster-Schröer mit einer neuen Geschichte der Stadt die bisherigen, eher zahlenlastigen Werke ergänzen und toppen würde.

(RP)
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