Interview: Dagmar Niederlein "Jugendhilfe ist ständige Veränderung"

Ratingen · Dagmar Niederlein ist seit Anfang des Monats neue Chefin des Jugendamtes - und begeistert von den Ratinger Konzepten.

 Dagmar Niederlein (51) ist die neue Leiterin des Jugendamtes. Geboren wurde sie in Mainz, später zog es sie ins Rheinland.

Dagmar Niederlein (51) ist die neue Leiterin des Jugendamtes. Geboren wurde sie in Mainz, später zog es sie ins Rheinland.

Foto: Achim Blazy

Direkt mal vorweg - Sie sind Sozialpädagogin: Beruf oder Berufung?

Niederlein Da muss ich nicht lange überlegen: Das ist für mich inzwischen tatsächlich zur Berufung geworden.

Wie kommt es?

Niederlein Wir haben im Jugendamt die Möglichkeit, Familien zu helfen, sie zu unterstützen und ihnen Wege aufzuzeigen für ein gutes Aufwachsen ihrer Kinder. Für mich macht die Arbeit einfach Sinn.

Was sind Erfolge in der Jugendhilfe?

Niederlein Wenn wir es schaffen, mit unseren Konzepten und Angeboten eine positive, kinder- und jugendfreundliche Umgebung für junge Menschen und ihre Familien zu gestalten, ist das für mich ein Erfolg.

Aber es gibt auch Schattenseiten?

Niederlein Sicherlich, es gibt immer einzelne Fälle, denen wir mit unseren Möglichkeiten der Erziehungshilfe nicht mehr erfolgreich begegnen können. Solche Fallkonstellationen sind eine schwierige Herausforderung für jeden Mitarbeiter, sind zum Glück eher selten.

Jetzt haben Jugendämter nicht immer den besten Ruf.

niederlein Das stimmt leider. Das ist für mich auch eines der Ziele, mit denen ich die Arbeit im Jugendamt immer verknüpft habe. Ein erfolgreiches Jugendamt muss bei den Menschen als Einrichtung wahrgenommen werden, die Familien unterstützt. Manchmal ist es natürlich auch leider so, dass ein Kind in seiner Herkunftsfamilie nicht sicher aufwachsen kann.

Was passiert dann?

Niederlein In diesen Fällen bringen wir die Kinder in Pflegefamilien oder in einer unserer Partnereinrichtungen unter. Grundsatz ist jedoch immer, dass wir zuerst alle zur Verfügung stehenden ambulanten Hilfsmöglichkeiten einsetzen, um dem Kind das Aufwachsen in seiner Familie zu ermöglichen. Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Beratung. Das wird von Familien auch zunehmend angenommen. Letztlich haben Eltern und Jugendämter das gemeinsame Ziel, Kindern ein kindgerechtes Aufwachsen zu ermöglichen. Und dieses Ziel möchte ich auch hier weiter umsetzen.

Was hat Sie an der Aufgabe in Ratingen gereizt?

Niederlein Das war die Herausforderung, ein Jugendamt in einer Stadt leiten zu können, die eine Vielzahl eigener Kindertagesstätten betreibt, die viele erfolgreiche Konzepte in der Jugendhilfe anbietet und die mir vor allem von der Größenordnung her ideal erscheint.

Hier in der Stadt arbeiten viele Institutionen in der Jugendarbeit. Ein Vorteil?

Niederlein Ja. Jugendhilfe unterliegt ständigen Veränderungsprozessen. Die gesellschaftlichen Anforderungen und die Umsetzung gesetzlicher Vorgaben erfordern eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit allen Beteiligten. Für mich hat es eine große Bedeutung, zusammen mit den anderen Trägern zu schauen, wie wir gemeinsam erfolgreich arbeiten können. Kommunikation ist wichtig.

Ihr Job ist doch vor allem Verwaltungsarbeit. Vermissen Sie die sprichwörtliche Front manchmal?

Niederlein Ich kann auf eine eigene langjährige Erfahrung an der sogenannten "Front" zurückblicken. Das waren für mich prägende Jahre. Sie helfen mir auch heute in der täglichen Arbeit. Aber auch als Amtsleiterin ist man keineswegs nur am Schreibtisch. Ich kommuniziere mit so vielen Menschen, kann federführend dabei sein, wenn Konzepte entwickelt werden. Ganz wichtig ist mir auch der regelmäßige fachliche Austausch mit meinen Mitarbeitern. Zumal ich einen Teil meines Aufgabenfeldes darin sehe, dass ich für meine Mitarbeiter in ihrer täglichen Arbeit eine Art "Geländer" im positivsten Sinne biete.

Wie gefällt Ihnen eigentlich Ihre neue Wirkungsstätte?

Niederlein (lacht) Der Vorteil ist ja, dass es schwierig ist hier mit der Parkplatzsituation. Bin ich das Auto erst einmal los geworden, laufe ich möglichst viel zu Fuß zu meinen Terminen außer Haus und lerne auf diese Art die Stadt viel besser kennen. Sie gefällt mir. Sie hat viel Charme. Besonders aber gefällt mir die offene und freundliche Art der Menschen in Ratingen - innerhalb und außerhalb der Verwaltung.

Wie beurteilen Sie den Standard Ihres Amtes?

Niederlein Ratingen hat im Bereich der Jugendhilfe bemerkenswerte Konzepte wie zum Beispiel im Bereich der Sprachförderung oder auch beim Jugendrat und in der Kindertagesbetreuung. Hier sind wir super organisiert. Die Zusammenlegung von Erziehungsberatung und schulpsychologischer Beratung, wie sie in Ratingen seit Jahren praktiziert wird, finde ich auch absolut sinnvoll.

Läuft man in der Jugendarbeit nicht bloß Entwicklungen hinterher? Zum Beispiel bei den Themen wie Alkohol oder Gewalt?

Niederlein Das sehe ich nicht so. Wir reagieren nicht nur auf bestehende Probleme, wir arbeiten auch viel präventiv mit Angeboten, die die Familien im Alltag erreichen. Insbesondere im Bereich der Frühen Hilfen und auch mit dem Netzwerk Kinderschutz wird im Schwerpunkt auf Prävention gesetzt. Damit können wir viel bewirken - und sind sehr gut aufgestellt. Natürlich reagieren wir aber auf die gesellschaftliche Entwicklung, setzen aber auch eigene Akzente. Ein erfolgreiches Beispiel ist unsere Präventionsarbeit an Altweiber, wo die ganz schlimmen Alkohol-Exzesse der Vergangenheit angehören.

Waren Sie eine strenge Mutter?

Niederlein Nein, streng wäre das falsche Wort. Ich glaube, man darf Strenge und Konsequenz nicht miteinander verwechseln. Verlässlichkeit, gegenseitiger Respekt und Liebe sind unerlässlich. Klingt vielleicht kitschig, ist aber eine Erfahrung, die ich gemacht habe.

Ihre Vorgängerin war 19 Jahre Chefin des Jugendamtes. Und Sie?

Niederlein (lacht) Das werde ich aufgrund meines Alters nicht schaffen. Aber so wie es sich bisher anlässt, kann ich mir sehr gut vorstellen, hier bis zum Ende meines Arbeitslebens zu bleiben.

KARL RITTER STELLTE DIE FRAGEN.

(RP)
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