Hösel Kafka — was sonst?

Düsseldorf · Jürgen Born (83) ist immer noch einer der angesehensten Kafka-Experten weltweit. Am Mittwoch spricht der Forscher, der seit 15 Jahren in Hösel zuhause ist, im Medienzentrum über den berühmten Prager und Thomas Mann.

Es sind diese seltenen, magischen Momente, die das Leben von jetzt auf gleich in neue Bahnen lenken können. Jürgen Born hatte wohl solch ein Erlebnis, als er, damals noch Student an der Freien Universität Berlin, zu Beginn der 50er Jahre erstmals eine Vorlesung über den neu entdeckten, in Prag geborenen, jüdischen Autor Franz Kafka (1883-1924) hörte.

Der Student Born stattete sich mit Lektüre — "Vor dem Gesetz" und "Kaiserliche Boschaft" — aus, stieg zur Heimfahrt in die Bahn und verpasste, vor Leseglück trunken und vollkommen aus der Welt geraten, seine Haltestelle. "In diesem Moment wusste ich: Da ist etwas passiert", sagt Born.

Gespräche mit Max Brod

Dass dies einmal zu Dozenturen an mehreren amerikanischen Universitäten, schließlich zu einer Berufung an die Universität Wuppertal führen würde, wo Born die Forschungsstelle Prager deutsche Literatur einrichtete — heute liest es sich wie eine Kette folgerichtiger Ereignisse, damals war es auch ein bisschen Glück. Das Glück nämlich, zur richtigen Zeit auf die Fächer Anglistik, Amerikanistik und Germanistik gesetzt und immer wieder die richtigen Leute getroffen zu haben.

Außerdem lauter grandiose Fügungen: Kafkas Briefwechsel mit der Zweifachverlobten Felice Bauer zur wissenschaftlichen Aufbereitung in die Hände bekommen zu haben, darüber mit Kafkas engstem Freund, Max Brod, korrespondieren, gar persönlich sprechen zu können, und schließlich: Die schmale Bibliothek des berühmten Pragers, der nur 41 Jahre alt wurde, nach emsigem Spendensammeln erwerben und nach Wuppertal bringen zu können.

Ob deutsche Doktoranden, chinesische Forscher oder tschechische Lehrerinnen, man trifft sich in Kafkas Bibliothek, erzählt Born. Lange schon ist er Professor außer Dienst, dies allerdings rein formal betrachtet. Tatsächlich sitzt er gerade daran, seine Kernpublikation "Kafkas Bibliothek.

Ein beschreibendes Verzeichnis" für den kleinen, aber feinen Düsseldorfer Onomato Verlag zu überarbeiten. Born wundert und freut sich über dessen erlesen anspruchsvolles Programm, in dem ein Autor wie Kafka ja bestens aufgehoben sei. Die französischen Existenzialisten um André Breton, Albert Camus und Jean-Paul Sartre wussten schon, warum sie dem Avantgardisten Kafka früh huldigten. Ab 1950 sei er dann auch in Deutschland in Mode gekommen.

Waren seine Schriften bis dahin, wenn überhaupt, ausschließlich in jüdischen Buchhandlungen zu haben, fanden sinnsuchende Menschen — betoniert im geistigen und religiösen Vakuum Deutschlands nach Kriegsende — in Kafka nun einen Geistesverwandten. "Einen Suchenden, der die Suche zur Sprache bringen konnte. Der das Zerbrechen aller Ordnungen erfahren hat und sich seinerzeit auch fragte, wie es weitergehen soll", sagt Born.

Ein Nihilist, ein Neinsager zu jeglicher Form von Sinnstiftung, sei Kafka, der promovierte Jurist, der als Beamter sein Brot verdiente und nachts Literatur tippte, entgegen gängiger Vorurteile jedoch nie gewesen: "Der Mensch kann nicht leben ohne Hoffnung, hat er einmal geschrieben. Nehmen Sie nur seinen ausgeprägten Humor, der immer noch zu wenig wahrgenommen wird. In diesem Humor steckt bei Kafka das Körnchen Hoffnung", meint Born.

Der Forscher, dem Kafkas präziser Stil und symbolkräftige Bilder zum Maßstab geworden sind, wird heute im Medienzentrum den unterschiedlichen Arbeitsweisen von Franz Kafka und Thomas Mann, der Kafka nicht viel abgewinnen konnte, Kontur geben. Sein Vortragsstil hat einen hohen Suchtfaktor. Wer Born hört, muss zu dem Schluss kommen, Literatur sei das Wichtigste auf der Welt. Mindestens.

(RP)
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