Ratingen "Ohne sie würde hier etwas fehlen"

Ratingen · Seit einem Halbjahr werden auch Jungen an der Liebfrauenschule unterrichtet. Zeit für eine erste Bilanz.

 Klassenlehrerin Charlotte Seguin beim Deutschunterricht in der Klasse 5b. Sie möchte die Jungenklasse nicht missen, auch wenn das Arbeiten anders ist.

Klassenlehrerin Charlotte Seguin beim Deutschunterricht in der Klasse 5b. Sie möchte die Jungenklasse nicht missen, auch wenn das Arbeiten anders ist.

Foto: Blazy, Achim (abz)

Die alten Parkettdielen knarzen. Das Gebäude ist alt, sehr alt. Seit über 100 Jahren werden in diesem Räumen junge Menschen aufs Leben vorbereitet. Einer von ihnen ist Paul. Der Junge mit dem schwarzen Haar sitzt in der ersten Reihe, direkt vor dem Pult von Lehrerin Charlotte Seguin. Deutsch steht in dieser sechsten Stunde auf dem Stundenplan. Konjugation von Verben. Paul darf sich ein Wort aussuchen, dass ein Klassenkamerad dann in die richtige Form bringen muss. "Essen. Zweite Person Plural, Präteritum." Suchend wandert der Blick des Elfjährigen durch den Raum. Er darf einen seiner Mitschüler dran nehmen.

Ein ganz normaler Unterricht halt - oder auch nicht. Denn Paul und seine 31 Klassenkameraden sind so etwas wie Exoten. Sie sind die ersten Jungen, die in der Realschule unterrichtet werden. "Die Jungen sind definitiv ein Gewinn für uns. Ohne sie würde hier etwas fehlen", bilanziert Peter Bärens, kommissarischer Schulleiter nach dem ersten Schulhalbjahr mit dem bi-edukativen Unterricht, wie es im Pädagogendeutsch heißt. Dabei habe es anfangs auch im Kollegium viele Kritiker gegeben, die die Abkehr von der jahrhundertelangen Tradition der reinen Mädchenschule sehr kritisch gesehen haben. "Das hat sich aber in diesem Halbjahr revidiert. Ich kriege sehr viel positive Rückmeldungen von Kollegen, die bei den Jungen eine Vertretungsstunde gemacht haben", so Klassenlehrerin Seguin, die sich freiwillig gemeldet hat für die Leitung - wie alle Kollegen, die fest in der 5b unterrichten.

Die Unterschiede zwischen dem Leben "vor" und "nach" den Jungen werden schon beim Gang durch das altehrwürdige Treppenhaus deutlich. Erde und Matsch sind auf den Stufen verteilt. "Aha, die Jungs haben draußen gespielt", sagt Peter Bähr, wenn auch mit einem Augenzwinkern. Wirkliche Unterschiede gibt es vor allem in anderen Punkten, wie Charlotte Seguin erklärt. "Bei den Jungen muss es im Unterricht immer mal kleine Wettbewerbe geben. Sie lieben es, herauszufinden, wer besser ist." Ansonsten wachsen in dieser fünften Klasse überwiegend kleine Kavaliere heran, ist die Klassenlehrerin begeistert: "Sie sind so freundlich. Grüßen, halten die Türen auf."

Auffällig sei, so Peter Bärens, der in der Klasse Biologie unterrichtet, dass die Jungen weitaus forscher seien als die Mädchen: "Ich habe in meinem Büro ein Glas mit Süßigkeiten stehen, an dem sich die Kinder bedienen können. Während die Mädchen da immer noch einmal nachfragen, greifen die Jungen gleich zu", erzählt er lachend. Und dann war da noch die Geschichte mit dem Ehrgeiz, die der Pädagoge mit einem Lächeln auf den Lippen zum Besten gibt: "Wir haben Platten bekommen, die wir in der Turnhalle bei Veranstaltungen zum Schonen des Bodens auslegen. Das waren zwei Paletten à 750 Kilogramm. Als die geliefert wurden, hatten die Jungs gerade Sportunterricht." Innerhalb von 25 Minuten sei die erste Palette leer gewesen. Und auch für die zweite Palette habe sich die Klasse freiwillig gemeldet. Aber auch für die Lauf-AG und das Schulorchester sei der männliche Nachwuchs eine Bereicherung. In Mathe sei das Arbeiten mit den Jungen ganz anders: "Da kommt man schneller voran", meint der Schulleiter. Auch wenn der Unterricht bis auf die Religionsstunden nach Geschlechtern getrennt gehalten wird, ist das soziale Miteinander zwischen Mädchen und Jungen gut, freut sich Bähr: "In den Pausen wird auf dem Schulhof wie selbstverständlich zusammengespielt, vor allem Fußball."

(wol)
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