Ratingen-Lintorf Passanten lassen schwer verletzte Frau liegen

Lintorf · Karin Schüller zieht sich beim Sturz auf dem Konrad-Adenauer-Platz einen Beckenbruch zu. Passanten gehen weiter.

 Friedrich Schüller an dem Ort, an dem seine Frau stürzte und mindestens 20 Minuten hilflos liegen blieb. Der Unfall passierte an einem Nachmittag vor zwei Wochen auf dem Konrad-Adenauer-Platz.

Friedrich Schüller an dem Ort, an dem seine Frau stürzte und mindestens 20 Minuten hilflos liegen blieb. Der Unfall passierte an einem Nachmittag vor zwei Wochen auf dem Konrad-Adenauer-Platz.

Foto: achim blazy

Am Dienstag besuchte Friedrich Schüller seine Ehefrau Karin im St. Marien-Krankenhaus an der Werdener Straße. Mittlerweile geht es der 54-Jährigen etwas besser, doch die Erinnerungen an den Sturz und die Umstände sind noch frisch - und sie wühlen die Patientin auf.

Was war passiert? Karin Schüller war am 10. Oktober, an einem Freitag, auf dem Konrad-Adenauer-Platz in Lintorf unterwegs. Gegen 16.20 Uhr stürzt sie schwer. Sie liegt benommen am Boden und kann sich kaum rühren. Ob sie lautstark um Hilfe ruft, ist unklar. Es ist schwierig, die Unfallursache präzise zu rekonstruieren.

Karin Schüller hat höllische Schmerzen. Sie nimmt wahr, dass Passanten, darunter ein älteres Ehepaar, in unmittelbarer Nähe an ihr vorbeilaufen. Niemand kümmert sich um sie. An diesem Tag hat Karin Schüller ausnahmsweise das Handy dabei - ein Glücksfall. Sie wählt die Nummer ihres Mannes, berichtet ihm mit letzter Kraft von dem Sturz und davon, dass sie hilflos am Boden liegt.

Friedrich Schüller eilt herbei, entdeckt seine schwer verletzte Frau und ruft sofort den Krankenwagen. In der Klinik wird das Ausmaß der Verletzung klar: Beckenbruch. Mittlerweile hat die Patientin eine künstliche Hüfte, eine mehrwöchige Reha wird sich anschließen.

Karin Schüller durchlebt eine schwere, eine unruhige Zeit. Sie hatte sich vor einigen Wochen das Handgelenk gebrochen, der Gips war bei dem Sturz auf dem Konrad-Adenauer-Platz beschädigt worden. "Aber die Hand hat glücklicherweise nichts abbekommen", berichtet Friedrich Schüller, der als Verkehrsmeister bei der Rheinbahn beschäftigt ist und als Ersthelfer ausgebildet wurde. "Es ist für mich unfassbar, dass sich Menschen so ignorant verhalten können", sagt der 60-Jährige, "sie haben einfach weggeschaut und sind weitergegangen." Aus seiner Sicht war die Situation eindeutig: Seine Ehefrau lag mindestens 20 Minuten lang am Boden, hilflos und bewegungsunfähig. Überhöhter Alkoholkonsum als mögliche Ursache für den schweren Sturz scheidet definitiv aus. "Meine Frau trinkt gar keinen Alkohol", erzählt Friedrich Schüller.

Auch bei der Kreispolizei in Mettmann löst dieser Unfall mit seinen Begleitumständen Fassungslosigkeit aus. "Das ist schon eine unglaubliche Geschichte", meint eine Sprecherin, "moralisch ist das Ganze sicherlich verwerflich." Ob man irgendeiner Person eine sogenannte "Unterlassene Hilfeleistung" nachweisen kann, ist laut Polizei aber äußerst fraglich. Das größte Problem bei der Spurensuche: Der Unfall liegt bereits knapp zwei Wochen zurück.

Wie ist der Sachverhalt juristisch einzuordnen? Paragraph 323c des Strafgesetzbesuches (StGB) sieht Folgendes vor: Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Friedrich Schüller geht es nicht um Sühne. Er hat die Sorge, dass die Gesellschaft des Wegschauens und der Ignoranz weiter wächst. Der Sturz seiner Frau sei ein mahnendes Beispiel, sagt er in einem Ton, der nach Verbitterung klingt.

Schon bald wird Karin Schüller ihren 55. Geburtstag feiern - in der Reha und nicht in ihrem Haus in Lintorf.

(RP)
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