Ratingen Ratingen liebt den Karneval heiß und fettig

Ratingen · Es soll ja Ratinger geben, die "vor Karneval flüchten", allerdings eine Tüte Berliner mitnehmen und damit begeistert ihr Auto einzuckern.

 Alexander Bös wirft einen prüfenden Blick auf die fertigen Berliner. Jeder einzelne hat, wohlwollend berechnet, gut 300 Kalorien. Bloß: Zu Karneval fragt danach keiner.

Alexander Bös wirft einen prüfenden Blick auf die fertigen Berliner. Jeder einzelne hat, wohlwollend berechnet, gut 300 Kalorien. Bloß: Zu Karneval fragt danach keiner.

Foto: Blazy Achim

Geschieht ihnen recht. Die wackeren Jecken, die im heimischen Rheinland bleiben, verzichten natürlich auch nicht auf das begehrte Fettgebackene, das für weitere, alkoholische Genüsse eine gute Unterlage bieten soll. Und eine Alternative zu dem, was die bayerische Rheinland-Touristin Gaby Lauschner empfiehlt: "Vor dem Feiern einen fetten Matjes und zum Alkohol viel Wasser."

Es gibt die so genannten Berliner, von kundiger Ratinger Konditorenhand tagesfrisch und besonders schmackhaft hergestellt, tatsächlich immer noch. Auch, wenn weit zugereistes Fertiggebäck hier und da wohlfeil im Angebot ist.

 Ein Gebäck, viele Namen: Eierkrapfen, Muzenmandeln, Nonnenfürzle oder Fasnetsküchle. Oder Püfferkes. Oder Bullebäuskes.

Ein Gebäck, viele Namen: Eierkrapfen, Muzenmandeln, Nonnenfürzle oder Fasnetsküchle. Oder Püfferkes. Oder Bullebäuskes.

Foto: A. Blazy

Früher hießen die saisonalen Gebäckstücke rund um Karneval "Schmalzgebackenes". Dass das an den närrischen Tagen so beliebt war und ist, hat seine Wurzeln - wie so vieles zum Thema Spaß an der Freud' - im katholischen Kirchenkalender. Weil nämlich ab Aschermittwoch kein Fleisch mehr auf den Tisch kommen durfte, die Kühlmöglichkeiten früher jedoch begrenzt waren, mussten die Vorräte bis spätestens Karnevalsdienstag verbraucht sein: Fleisch und Wurst und auch das Schweineschmalz. Bis Ostern wäre es bestimmt ranzig geworden.

Um also möglichst viel Schmalz in möglichst kurzer Zeit zu verbrauchen, wurde man erfinderisch und entwickelte die unterschiedlichsten Schmalzgebäcke.

So gibt es in den einzelnen deutschen Regionen mancherlei hübsche Namen für die Ergebnisse der Schmalzverwertung: Berliner (bei uns) und Pfannkuchen (in Berlin), Eierkrapfen, Muzenmandeln (siehe Kasten), Nonnenfürzle oder Fasnetsküchle. Mal sind sie hohl, oft gefüllt, auch Alkohol ist im Teig oder im Innern. Wie auch immer bezeichnet: Alles wird in heißem Fett gebacken - wenngleich aus mancherlei Gründen nicht mehr in Schmalz. Alexander Bös, der nicht nur Bäcker, sondern auch Konditor - also Zuckerbäcker - ist und dazu auch noch erster Präsident der blau-weißen Karnevalisten in Ratingen, steht trotz der aktuellen jecken Verpflichtungen um 6 Uhr an der Fettpfanne und stellt Berliner her: In die großen Behälter passen 14 Kilo Erdnussöl, in dem dann gleichzeitig 30 Berliner brutzeln. Wie ganz früher, zur Schmalz-Zeit, haben diese Gebäckstücke erst mal keine Füllung.

Die wird später seitlich hineingespritzt und besteht am häufigsten aus einer konsensfähigen Vierfrucht-Marmelade. Aber auch Schokocreme und mit Pudding angedickter Eierlikör werden gern gegessen. Schließlich bekommt das Gebäck eine Mütze aus Zucker oder Puderzucker oder aus Zuckerguss. Macht dann, wohlwollend gerechnet, gut 300 Kalorien pro Stück. "Ich esse am liebsten die Berliner gleich aus der Pfanne. Aber mehr als drei schaffe ich dann auf ein Mal auch nicht." Bös kann es sich erlauben.

Berliner werden von allen Ratinger Handwerker-Bäckern hergestellt, dazu Muzenmandeln, Muzenblätter (ein eher flaches Gebäck). Also alles, was bei gierigem Essen die Finger gleichzeitig fettig und zuckrig werden lässt - was bei späterem Erinnern für Kindheit steht.

Zum traditionellen Backtag entwickelte sich vielerorts damals, als das Fett noch ranzig wurde, der Donnerstag vor Aschermittwoch. Davon kündet der bis heute vor allem im Badischen gebräuchliche Name "schmutziger Donnerstag". "Schmotzig" bedeutet nämlich im alemannischen Dialekt fettig. Ähnlich verhält es sich mit regionalen Bezeichnungen wie "glombiger", "gumpiger" oder "feischter" Donnerstag. Auch diese Wörter verweisen auf das Fett, das an diesem Tag allerorten in den Pfannen siedete. Berliner, gelegentlich auch Berliner Ballen genannt, bieten sich einmal als Wegzehrung für "auf die Hand" an. "Für Fein" kann man sie überaus anmutig mit einem zierlichen Obst- oder Kuchenbesteck mit Gabel und Messerchen so zerlegen, dass man ohne Zuckerkrümel an Hand, Mund und Hemd zum Genuss kommt. Derartige Bestecke waren in einer Welt vor unserer Fastfood-Zeit im Handel und in den Besteckkästen besserer Familien.

Berliner fallen wegen ihrer Größe eigentlich in die Rubrik "Teilchen". Das ist das Naschwerk, das man seinen Gästen dann anbietet, wenn Plätzchen zu ärmlich wirken würden und Torte zu teuer ist. Falls man diese Kategorien mag.

(gaha)
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