Analyse Realschule: Inklusion bleibt ein Kraftakt

Heiligenhaus · Am Nordring lernen seit zwei Schuljahren Schüler mit und ohne Handicaps gemeinsam. Aktuell sind es 27 Förderschüler. Zwischenbilanz: Das Schulleben profitiert - aber das Modell ist eine Herausforderung für die Organisatoren im Lehrerzimmer.

 Schulleiterin Sonia Cohen in einem der vier "Inklusionsräume" der Realschule am Nordring. Hier wird in Kleingruppen gelernt.

Schulleiterin Sonia Cohen in einem der vier "Inklusionsräume" der Realschule am Nordring. Hier wird in Kleingruppen gelernt.

Foto: Achim Blazy

Am Schrank im Rektorinnenzimmer hängt eine Postkarte mit Spruchweisheit: "Ich kann, weil ich will, was ich muss." Für Realschulleiterin Sonia Cohen schwingt bei dieser Art Raumschmuck womöglich ein Hauch Selbstironie mit. Aber gerade bei einem der bedeutendsten Themen ihres Schulalltags gehen ihre Überlegungen weit darüber hinaus. Inklusion ist das Lehr- und Lernmodell, mit dem die Realschule inzwischen zwei komplette Schuljahre Erfahrung hat. Cohens Zwischenbilanz fällt geteilt aus - und vollkommen unironisch.

Da wären die Zahlen: Die Schule hat 420 Schüler, von kommenden Schuljahr an werden 27 Förderschüler dabei sein. "In der Endstufe, dann also, wenn Förderschüler in allen Jahrgängen vertreten sind, werden sie zehn Prozent der Schülerzahl ausmachen", so Cohens Prognose.

Da wäre die Organisation: Für die besonderen Anforderungen des gemeinsamen Lernens in bisher acht Klassen gibt es 66 Stunden sogenannte "pädagogische Entlastung". Das heißt, sechs Lehrer aus vier Förderschulen unterrichten zusätzlich in der Realschule und haben dort besondere Aufgaben. Diese Stunden sind das A und O des ganzen Modells. Und genau von denen gibt es zu wenige, wie sich in der Praxis herauskristallisiert. Die unterschiedliche Aufgabenverteilung, Lernmethoden und Lerninhalte zur gleichen Zeit in ein und der selben Klasse - das ist schwer zu bewerkstelligen. Selbst dann, wenn alle wollen, was sie müssen. Inzwischen lernen deswegen Förderschüler zeitweise auch in Kleingruppen allein.

Mit ihrer eher pessimistischen Prognose für die stellen- und stundentechnische Ausstattung auf lange Sicht steht die Schulleiterin nicht allein da. So warf unlängst der CDU-Landtagsabgeordnete Wilhelm Droste die Frage auf, inwieweit die Maßnahmen des Landes ausreichen, um den Erfolg sicherzustellen. Er richtete die Frage an Schulministerin Löhrmann. Auslöser war eine Studie des Lehrerverbandes VBE. Ein Ergebnis: Etwa neun von zehn Befragten nannten das Fortbildungsangebot für Lehrer "weniger gut" oder "gar nicht gut". Für die Heiligenhauser Realschule verzeichnet Cohen aber ebenso Pluspunkte des Modells: "Das Schulleben profitiert. Es gibt eine Art neues Wir-Gefühl. Das lässt sich daran ablesen, dass sich ein Großteil der Schüler im Schulalltag selbstverantwortlich fühlt - zum Beispiel im Umgang mit vermeintlich Schwächeren." Von einer echten Verbesserung des sozialen Klimas hätten auch Eltern inzwischen berichtet. "Die Zustimmung wächst." Auch deswegen, weil klar wird, dass Inklusion neue Schullaufbahnen möglich macht: So können Förderschüler drei Jahre die Realschule besuchen und anschließend auf eine Förderschule wechseln. Ein gangbarer, sinnvoller Weg, findet Cohen. Denn "Förderschulen können dann mehr Zeit für die Berufsorientierung nutzen". Und nicht zuletzt stelle die Stadt als Schulträger ausreichend Räume zur Verfügung. Und: "Es gibt inzwischen auch eine weitere Kraft in der Übermittag-Betreuung."

(RP)
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