Ratingen Stadt will Straßen umbenennen

Ratingen · Weil sie den Nationalsozialismus verherrlichten und unter Hitler Karriere machten, soll es in Homberg bald keine Agnes-Miegel- und keine Hermann-Stehr-Straße mehr geben. Andere Städte haben sie längst umbenannt.

Nachdem eine von der Stadt Münster gegründete Kommission zur Überprüfung anrüchiger Straßennamen die Umbenennung der Agnes-Miegel-Staße und der Hermann-Stehr-Straße empfohlen hat, ist jetzt auch die Ratinger Stadtverwaltung hellhörig geworden. Ergebnis der Nachforschungen von Stadtarchivleiterin Erika Münster: Im Jahr 1970 sind die Straßen im Neubaugebiet Süd in Homberg nach der ostpreußischen Dichterin Miegel (1879-1964) und dem oberschlesischen Schriftsteller Stehr (1864-1940) benannt worden, um an die deutschen Vertriebenen und die als Folge des Zweiten Weltkriegs verlorenen Ostgebiete Deutschlands zu erinnern — zumal Homberg nach dem Krieg viele Flüchtlinge aus Ostpreußen aufnehmen musste. "In Straßennamen spiegelt sich eben immer auch der Zeitgeist", sagt Kulturamtsleiterin Andrea Töpfer.

Die NS-Vergangenheit der beiden Autoren sei damals nicht gründlich durchleuchtet worden. Oder, wie es in der vom Ältestenrat der Stadt bereits beratenen Vorlage heißt, die Ende des Monats im Bezirksausschuss diskutiert wird: Besagte Vergangenheit "interessierte damals, wie in vielen Kreisen der westdeutschen Gesellschaft üblich, nicht". Und weiter: Aus heutiger Sicht sind Miegel und Stehr "als Vorbilder, denen die Ehre eines Straßennamens zukommt, nicht mehr geeignet".

Zahlreiche Agnes-Miegel-Schulen, -wege und -straßen wurden bereits umbenannt, weil die Namensgeberin eine Stütze der NS-Diktatur im Bereich Kultur war und den "Führer" in ihren Werken verherrlichte, so das Fazit der Münsteraner Kommission. Ihre zwischen 1898 und 1907 veröffentlichte Balladen, Gedichte und Erzählungen hatten Miegel zunächst den Namen "Droste des Ostens" (in Anlehnung an die westfälische Dichterin Annette von Droste-Hülshoff) eingebracht. Lange Zeit publizierte Miegel nichts mehr, ab 1933 aber Lyrik und Prosa, die Hitler ("Du bist aller Zukunft Herz und Pfand!") und den Nationalsozialismus verherrlichten und 1934 in das Bekenntnis "Ich bin Nationalsozialist" mündeten.

Ihre politischen Ansichten dokumentierte Agnes Miegel ausführlich: "Wenn ich über meine Heimat und ihr Geschick etwas glaube, so ist es das: Wir werden ein nationalsozialistischer Staat sein — oder wir werden nicht sein! Und das wäre der Untergang nicht nur Deutschlands — es wäre der Untergang des weißen Mannes." Distanziert hat sie sich von solchen Aussagen nie: "Dies habe ich mit Gott alleine auszumachen und mit niemand sonst."

Hermann Stehr wurde von den Nationalsozialisten in großem Maße hofiert, mehrfach ausgezeichnet und finanziell gefördert — und revanchierte sich für seinen Aufstieg mit der Unterstützung eben jenes Regimes. Ursprünglich liberal gesonnen, wandte er sich ab 1930 konservativ-nationalen, rechten Dichterkreisen zu und unterstützte später aktiv die Vorbereitungen für die Bücherverbrennung im Mai 1934. Die Ermordung von Regimegegnern legitimierte er mit den Worten "Der alte Kämpfer Hitler ist mit den Landesverrätern in einer Nacht fertig geworden"; zur "Volksabstimmung" nach dem Anschluss Österreichs 1938 schrieb er: "Uns sollen die Zähne ausfallen und die Zunge im Munde verdorren, wenn wir am 10. April nicht dem Führer und seinen Taten ein begeistertes Ja zurufen."

Neben Hermann Stehr und Agnes Miegel ließ die Stadtverwaltung auch den Lebenslauf der Schriftstellerin Ina Seidel (1885-1974) prüfen, nach der eine Straße in Lintorf benannt ist. Seidel hatte sich zwischen 1914 und 1933 einen Namen als der Romantik und insbesondere Novalis nahestehenden Dichterin gemacht, unterschrieb 1933 aber das "Gelöbnis treuester Gefolgschaft" von 88 Schriftstellern gegenüber Hitler und verfasste mehrere Hymnen auf ihn. In ihrem Roman "Weg ohne Wahl" appellierte sie zudem an die deutschen Frauen, sich auf ihre Mütterlichkeit zu besinnen und sie in den Dienst von "Volk und Vaterland" zu stellen. Nach dem Krieg setzte sie sich in einem Roman kritisch mit ihrem Verhalten in der NS-Zeit auseinander und reflektierte die Schuld des Bürgertums an der Entstehung des Nationalsozialismus.

Weil sie ihre Haltung "sehr deutlich revidiert" habe, sei die Beibehaltung der Ina-Seidel-Straße möglich, so die Auffassung von Ältestenrat und Stadtverwaltung. Kulturamtsleiterin Andrea Töpfer ist gespannt, wie die Ausschüsse die Vorschläge diskutieren werden. In Münster sprachen sich bei einer Umfrage übrigens rund 60 Prozent dafür aus, anrüchige Straßennamen beizubehalten und durch Zusatzschilder kenntlich zu machen. KOMMENTAR

(RP)
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