Ratingen Syrien kassiert Flüchtlinge ab

Ratingen · Die Ratinger Volkssolidarität berichtet über hohe Pass-Kosten für eine syrische Familie. Das Jobcenter ME will die bisherige Darlehenspraxis vor dem Hintergrund eines neuen Gerichtsurteils überprüfen.

Sie sind vor Bürgerkrieg und Kugelhagel unter Lebensgefahr aus Syrien geflohen. Und sollen nun dem dortigen Regime für eine einfache Passverlängerung 400 Euro pro Pass bezahlen? Zum Vergleich: Ein neuer deutscher Reisepass kostet 60 Euro. Hier lebende syrische Familien und ihre ehrenamtlichen Betreuer von der Ratinger Volkssolidarität sind empört.

Dort engagiert sich auch der ehemalige Ratinger Ratsherr Manfred Evers. Er berichtet von einer Diskussion im deutsch-syrischen Gesprächskreis. Dort habe ein Teilnehmer erbost bis resigniert festgestellt: "Wir bezahlen die Kugeln, mit denen in Syrien auf unsere Leute geschossen wird."

Die Pass-Praxis gilt für alle aus Syrien Geflüchteten, die im Rahmen des Familiennachzugs in den Kreis Mettmann gekommen sind. Nach Angaben einer Kreissprecherin waren das im vergangenen Jahr 143 Personen. Manfred Evers erzählt den Fall am Beispiel eines Mannes, der einen Aufenthaltsstatus für Ratingen besitzt und seine Frau mit zwei Kindern zu sich holen konnte. Die anstehende Passverlängerung für diese drei erzeugt Kosten von 1200 Euro. Hinzu kommen die Kosten für eine Reise zum Berliner Konsulat Syriens, in dem Betroffenen zumindest bei der Antragstellung persönlich erscheinen müssen. Und: Manchmal werden die Pässe lediglich für einen Zeitraum von zwei Jahren verlängert. Offenbar einen einträgliche Einnahmequelle für den syrischen Staat.

Wer kommt für die Kosten auf?

"Wer Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommt, hat Glück. In dem Fall übernimmt die Kommune für die Passverlängerung", sagt Manfred Evers. In seiner Beispielfamilie gilt das für den Vater. Die über den Familiennachzug eingereiste Ehefrau mit den beiden Kindern bekommt Leistungen vom Jobcenter Mettmann. Dort gewährten die Sachbearbeiter bisher ein zinsloses Darlehen, damit die Passgebühren bezahlt werden konnten.

In zehn Monatsraten mussten die Betroffenen anschließend dieses Darlehen zurückzahlen. Aus der Sicht der Ratinger Volkssolidarität ist dies für Geflüchtete eine enorme Belastung. "Dieses bisherige Verfahren steht gerade intern zur Diskussion", sagt die für die Leistungsgewährung zuständige Bereichsleiterin Annette Herz. Grund dafür sei ein neues Urteil des Landessozialgerichts Bremen/Niedersachsen, das die bisherige Praxis als nicht rechtens einstufe. Die Richter sprachen davon, dass kein "unabweisbarer Bedarf" vorliege. Vor dem Hintergrund dieses Urteils müsse man die Vorfinanzierung generell überprüfen. "Vermutlich brauchen wir die Hilfe der Politik, um zu einem neuen Verfahren zu kommen", sagt Annette Herz vorsichtig.

Aus der Sicht von Praktikern wäre es sinnvoll, Geflüchteten Ersatzdokumente auszustellen. Eine auf Rechtsfragen rund um das Thema Flüchtlinge spezialisierte Anwältin empfiehlt der syrischen Familie in Ratingen, dass auch die Mutter und die Kinder - über ihre Eltern - in Deutschland Asyl beantragen. Dann entfalle der Gang zum teuren syrischen Konsulat, denn er sei Asylbewerbern nicht zuzumuten.

(RP)
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