Ratingen Telefonjazz mit Anna S.

Düsseldorf · In der Reihe Comedy und Co. begeisterten jetzt Annamateur & Außensaiter im Stadttheater. Die Frau aus Dresden und ihre beiden Bühnenrandmusiker erwiesen sich als komische Packung auf hohem musikalischem Niveau.

Als "Memory", der Klassiker aus dem Webber-Musical "Cats", zunächst in ein Schnurren, dann in ein böses Fauchen übergeht, um schließlich kläglich miauend abzubrechen, scheint es, als würde die Sängerin ein Problem plagen, das wenig später in massive Verweigerung ausartet. "Ich will nicht mehr singen", bricht es aus "Annamateur" heraus. Die Lösung ihrer künstlerischen Blockade betreibt die Sängerin und Kabarettistin auf der Bühne des Stadttheaters als psychotherapeutischen Selbstversuch. Ein rund 150 Köpfe zählendes Publikum sah und hörte "Annamateur & Außensaiter" bei ihrer "Bandaufstellung nach B. Hellinger" zu und war begeistert.

Mischung aus Cindy und Beth

Warum "Annamateur", die eigentlich Anna Maria Scholz heißt, ausgerechnet zu den Ideen des umstrittenen Psychotherapeuten Bert Hellinger greift, bleibt offen. Aber das Risiko ist begrenzt, denn die 32-jährige Dresdnerin, die 2008 den deutschen Kleinkunstpreis erhielt, präsentierte sich in mehr als einer Hinsicht als starke Frau.

Optisch ist sie eine Mischung aus Cindy aus Marzahn, allerdings ohne deren Proll-Attitüde, und Beth Ditto, charismatische Frontfrau der Popgruppe "Gossip". Ihre Begleiter, die "Außensaiter", die deswegen so heißen, weil sie jeweils am äußeren Bühnenrand auf Saiteninstrumenten spielen, bleiben von der Bandaufstellungs-Therapie nicht verschont. Unter gelegentlich erschwerten Bedingungen, etwa in Rückenlage, versuchen Stephan Braun (Cello) und Samuel Halscheidt (Gitarre), dem zur Spontan-Improvisation neigenden Gesang von Annamateur so etwas wie ein klangliches Korsett zu geben.

Dabei würde sich die dralle Dresdnerin gegen jede Art von Korsett verwahren, denn offensichtlich steht sie zu ihren paar Pfunden zuviel, weiß aber auch um ihre erotische Ausstrahlung, die sie nicht nur bei dem lasziv gehauchten Lied "Telefonjazz" einsetzt. Bei "Lover Man", einem Klassiker, den bereits Billie Holiday aufgenommen hat, stellt sie ihre in vielen Studienjahren an der Dresdner Carl Maria von Weber Hochschule für Musik erworbene jazzige Phrasierungskunst unter Beweis. "Wir hassen die, die anders sind – und die, die so sind wie wir, auch", singt sie in "Hollywut" und man spürt, dass sie ihre direkte Art gern auch in den Texten fortschreibt. Der Refrain "Egal was passiert, halt die Kamera drauf" aus "Nabelschau" ist eine Abrechnung mit dem omnipräsenten Exhibitionismus. Der begeisterte Beifall dürfte wohl bis zur nächsten Therapiesitzung vorhalten.

(RP)
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