Lintorf Trost spenden und authentisch sein

Lintorf · Nathalie Thomé wollte Informatik studieren, hat dann ihre Berufung im Umgang mit Menschen mit Demenz gefunden.

Vielleicht muss es nicht unbedingt die Bibel sein, die man bemüht - aber zumindest ein bisschen was von der Geschichte der Wandlung des Saulus zum Paulus hat der Weg von Nathalie Thomé dann schon: "Eigentlich wollte ich Informatik studieren", erzählt die 21-Jährige. Doch nach dem Wirtschaftsabitur am Adam-Josef-Cüppers-Berufskolleg wollte sie erst einmal etwas ganz Anderes machen und entschied sich für ein Bundesfreiwilligenjahr in den Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz des Fliedner-Krankenhauses in Lintorf - eine Entscheidung mit durchaus weitreichenden Konsequenzen.

"Nach einem halben Jahr habe ich gemerkt, dass es genau das ist, was ich machen will. Diese Arbeit wird mir viel mehr Spaß machen, als mein Leben lang Computerprogramme zu schreiben", erklärt die Ratingerin. Und so hat sie ihren freiwilligen Dienst verlängert und beginnt zum Sommersemester des kommenden Jahres ein Studium der Heilpädagogik. An dessen Ende ist eine Spezialisierung möglich, doch für Thomé steht schon jetzt fest: "Wenn es möglich ist, möchte ich weiter mit Demenzkranken arbeiten."

Sozialpädagogin Susanne Schmalenberg ist froh, Nathalie in ihrem Team zu haben: "Sie bringt für diese Arbeit eine sehr wichtige Eigenschaft mit. Sie ist authentisch. Das ist für den Umgang mit unseren Bewohnern enorm wichtig. Wer sich hier verstellt, wird kaum angenommen." Die feinen Antennen der Menschen sind es, die Nathalie Thomé jeden Tag fordern, ihr auf der anderen Seite aber auch sehr viel geben: "Ich habe gelernt, zufriedener zu sein, weiß es mittlerweile viel mehr zu schätzen, dass meine Eltern gesund sind und wir ein gutes Verhältnis zueinander haben."

Berührungsängste darf Nathalie Thomé in ihrem Job nicht haben, auch keine Angst davor, Nähe zu zeigen. Denn das ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Arbeit - "professionelle Nähe" nennen das die Mitarbeiter dort. Dazu gehört es vor allem, Grenzen zu setzen: "Wenn eine Situation zu schwer ist, muss ich sie auch schon einmal verlassen und später wieder in den Kontakt mit dem entsprechenden Bewohner treten", so die junge Ratingerin, die in zwei Wohngruppen eingesetzt wird. Acht bis zwölf Personen leben dort jeweils.

Besonders gerne arbeitet die begeisterte Klavierspielerin mit den Bewohnern, die sehr schwer von der Krankheit gezeichnet sind, "nicht mehr ganz so fit sind" - wie sie es liebevoll ausdrückt: "Es ist ein wunderbares Erlebnis, diese Menschen beruhigen zu können durch bloße Nähe, sie so aus einer schlimmen Situation herauszuholen." Dass es das ist, was sie machen will für den Rest ihres Lebens, steht für sie fest, auch wenn es völlig abweichend von ihren eigentlichen Lebensplanung ist.

Auch wenn ihr die Arbeit Spaß macht, Grenzsituationen, über die sie mit den erfahrenen Kolleginnen spricht, gibt es trotzdem. Wie den Fall des Bewohners, der sie besonders in sein Herz geschlossen hat: Ein stolzer Mann, der immer weniger alleine kann und den Verfall teilweise komplett mitbekommt und schwer damit zu kämpfen hat. "Für ihn bin ich über die Monate so etwas wie Krisenmanagerin und Trauerbegleiterin geworden", sagt Thomé. Ein schwieriger Rollenwechsel, könnte sie doch durchaus die Tochter des Bewohners sein.

Für Susanne Schmalenberg ist eine junge Frau wie Nathalie Thomé ein Glücksfall: "Menschen mit Demenz fühlen sich oft nicht verstanden. Dem treten wir mit Wertschätzung und Trost entgegen. Beides kann Nathalie unheimlich gut vermitteln."

Für die angehende Heilpädagogin ist es eine Berufung, auch wenn sie später weniger Geld verdienen wird als in der Informatikbranche - dafür erfährt sie hier etwas Wichtigeres: "Wir sind Anker in einer Welt, die für die Betroffenen immer verwirrender wird. Das anzunehmen, habe ich hier gelernt. Und darüber bin ich sehr froh."

(RP)
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