Jahreswechsel Meine Uhr (6) Turmuhr-Wächter: Das ist eine Aufgabe für Generationen

Ratingen · Familie Auweiler zieht seit fast 70 Jahren den Chronometer im Nordturm der Kirche St. Stephanus in Hitdorf auf. Und zwar jede Woche und von Hand.

 Heinz-Günter (l.) und Jan Auweiler sind die Turmuhrwächter. Der Vater hat die Aufgabe des Uhraufziehens mittlerweile an den Sohn weitergeben.

Heinz-Günter (l.) und Jan Auweiler sind die Turmuhrwächter. Der Vater hat die Aufgabe des Uhraufziehens mittlerweile an den Sohn weitergeben.

Foto: Miserius Uwe

Hitdorf Jan Auweiler ist ein regelmäßiger Kirchgänger. Er kann gar nicht anders, er muss in die Pfarrkirche St. Stephanus. Und zwar mindestens einmal pro Woche. Allerdings nicht, um einem Gottesdienst zu lauschen. Auweiler geht am liebsten dann, wenn niemand da ist. Denn er hat einen Job zu erledigen. Er muss die Turmuhr aufziehen. Von Hand.

 Hingucker: Auch ein Metallvögelchen spielt im Uhrwerk eine Rolle.

Hingucker: Auch ein Metallvögelchen spielt im Uhrwerk eine Rolle.

Foto: Miserius Uwe

Erbaut wurde die Kirche St. Stephanus zwischen 1884 und 1887. Als das Gotteshaus am 3. Juli 1887 durch den damaligen Fuldaer Bischof Georg von Kopp konsekriert, also eingesegnet wurde, hatte die Kirche erst einen Turm, weiß Heinz-Günter Auweiler. "Der Nordturm, der später auch die große Uhr beherbergte, existierte noch nicht", erzählt der Vater von Jan weiter. Erbaut wurde die Uhr mit ihren vier Ziffernblättern - für jede Himmelsrichtung eines - 1926 von der Recklinghäuser Turmuhrenfabrik Bernard Vortmann. Seither zeigt das mechanische Präzisionswerk in Hitdorf stets die aktuelle Zeit an.

 Das Ziffernblatt steht schon auf der Liste der anstehenden Renovierungen.

Das Ziffernblatt steht schon auf der Liste der anstehenden Renovierungen.

Foto: Miserius Uwe

Doch die an großen Ketten hängenden Gewichte treiben das Laufwerk nur sieben Tage lang ununterbrochen an, bevor sie am Boden ankommen. Spätestens dann müssen sie über dicke Drahtseile wieder hochgezogen werden. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die zuverlässig erledigt werden muss. 1948, so berichtet Heinz-Günter Auweiler, habe sein Vater Wilhelm diesen Job übernommen. Warum, weiß der Sohn heute nicht mehr. "Wahrscheinlich hat er sich nicht schnell genug weggeduckt", sinniert Auweiler schmunzelnd und fügt hinzu: "Unsere Familie war immer schon in der Gemeinde aktiv, bereits mein Großvater war einige Jahre lang im Kirchenvorstand tätig."

 Blick ins sensible Innenleben der Kirchturmuhr in Hitdorf, wo Zahnradmechanismen seit mehr als 90 Jahren dafür sorgen, dass die Zeit angezeigt wird.

Blick ins sensible Innenleben der Kirchturmuhr in Hitdorf, wo Zahnradmechanismen seit mehr als 90 Jahren dafür sorgen, dass die Zeit angezeigt wird.

Foto: Uwe Miserius

25 Jahre lang habe sein Vater den Job gemacht, erzählt Heinz-Günter Auweiler. Und der ist durchaus anstrengend. Immerhin müssen die beiden schweren Gewichte, die die Mechanik von Uhrwerk und dem für die Kirchenglocken zuständigen Schlagwerk antreiben, mit Muskelkraft wieder in eine Höhe von rund 20 Metern gezogen werden.

1973, da war Heinz-Günter gerade 20 Jahre alt, übertrug ihm der Vater die ehrenvolle Aufgabe. Natürlich war er zuvor als Junge unzählige Male mitgegangen, doch ab diesem Zeitpunkt war er allein verantwortlich. Zunächst gab es von der Kirche noch ein kleines Salär dafür, die Uhr aufzuziehen. "Doch darauf habe ich irgendwann verzichtet, dann brauche ich auch niemandem Danke zu sagen", betont Auweiler.

Außerdem sei es Entlohnung genug, "dass man die Stille in diesem großen Raum ganz für sich alleine hat", schwärmt er. Er gab vor zehn Jahren, als sein Sohn Jan auch gerade 20 war, die Aufgabe an die nächste, nunmehr dritte Generation weiter.

Besonders still ist es immer im Frühjahr und im Herbst, wenn Auweilers nachts losziehen müssen. Denn dann muss die Uhr nicht nur aufgezogen, sondern auch noch neu gestellt werden - auf die Sommer- oder die Winterzeit. Und da sich die Turmuhr nur nach vorne verstellen lässt, ist das im Herbst besonders zeitraubend. Denn dann muss das Laufwerk in der Nacht zum Sonntag angehalten und eine Stunde später wieder angestellt werden. "Zum Glück wohnen wir nicht weit weg von der Kirche", sagt Heinz-Günter Auweiler. Man könnte die Uhr auch elf Stunden vordrehen, aber erstens "ist die Mechanik recht empfindlich, und man merkt ihr an, dass ihr das nicht guttut", sagt der 64-Jährige. Und zweitens sei das Vordrehen nicht nur anstrengend sondern auch sehr laut.

In all den Jahren, erinnert sich der Senior, habe die Uhr nur wenige Male stillgestanden. Mal seien technische Defekte oder Wartungsarbeiten der Grund gewesen. "Wir haben das aber auch schon mal vergessen", gibt er zu. Eine Begebenheit, die sich etwa um die Jahrtausendwende ereignete, wird Auweiler nie vergessen: "Damals hat ein Familienmitglied das Aufziehen übernehmen müssen, weil ich verhindert war." Dieses Mitglied habe sich nicht so gut in der Kirche ausgekannt. "Auf der Suche im Dunklen nach den Schaltern für die Lichtgruppen wurden versehentlich die Knöpfe gedrückt, die das Schlagwerk aktivierten. Plötzlich läuteten mitten in der Nacht die Glocken", berichtet Auweiler. Das sei natürlich peinlich gewesen.

Eigentlich schon 2016 sollten die Zifferblätter die zuletzt vor etwa 30 Jahren überholt worden sind, renoviert werden. Doch da demnächst auch eine Dachsanierung anstehe, werde alles in einem erledigt.

(RP)
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