An(ge)dacht Vom Trösten und untröstlich sein

Ratingen · Der Auditor war in der Einrichtung erschienen. Aufgrund seiner Berufserfahrung hatte er ein profundes Wissen darüber, wo bei Kindergartenteams am ehesten Schwachstellen zu vermuten sind. Die steuerte er entschlossen an. Qualitätsmanagement, QM-Prozess 6.3.3. "Die Eingewöhnung". Frage des Auditors: "Wann ist die Eingewöhnungsphase zu Ende?" Wer jetzt antwortet: "Nach etwa sechs Wochen", hat verloren, denn die Eingewöhnung verläuft bei dem einen Kind kürzer, bei dem anderen dauert sie länger. Die richtige Antwort wäre gewesen: "Die Eingewöhnungszeit ist beendet, wenn das Kind sich trösten lässt." Bei Kindern ist das leicht festzustellen. Sind sie unglücklich, dann protestieren sie laut und weinen. Lassen sie sich trösten, dann beruhigen sie sich wieder, sind ansprechbar und lächeln vielleicht sogar. Wie ist es bei Erwachsenen?

"Die Lernphase im Glauben ist beendet, wenn der Glaubende sich trösten lässt." Wie fühlt sich das an? "Der Glaube soll Trost spenden." Dieser Feststellung würden viele zustimmen. Doch nehmen wir als Beispiel die Trennung von einem lieben Menschen. Erwachsene lassen sich oft schwerer trösten als Kinder. Manche sind völlig untröstlich, so als stürze ihr Glauben und ihr Weltbild ein. Dass Menschen irgendwann sterben, davon haben sie wohl gehört. Dass sie selbst aber davon betroffen sein könnten, damit haben sie nicht gerechnet.

Manchmal gibt es "Zeitfalten". Die Dinge passieren nicht in der richtige Reihenfolge. Da stirbt jemand einfach - und ich habe mich überhaupt nicht darauf vorbereitet. Keiner hat mich gefragt, ob ich damit einverstanden bin, schlimmer noch: Ich bin entschieden nicht einverstanden damit - und es passiert trotzdem. Nun muss ich mich neu sortieren, brauche plötzlich viel mehr Trost als vorher und bin gleichzeitig gar nicht offen dafür.

Ich will keinen Trost - nicht mal geschenkt! Ich will erst gar keinen Trost brauchen müssen - das ist es! Und so schleudere ich meine Fassungslosigkeit in die Welt. Wie kann Gott das zulassen? Oder der Arzt: Hat der überhaupt alles unternommen ... usw. usw.

"Die Lernphase im Glauben ist beendet, wenn der Glaubende sich trösten lässt." Vielleicht fängt dieses Lernen immer wieder neu an. Vielleicht haben wir es an der einen Stelle abgeschlossen und an der anderen bricht es neu auf. Vielleicht - klingt paradox - sind wir sogar in der Lage, andere zu trösten, igeln uns aber gleichzeitig in lauter Untröstlichkeit ein, wenn es uns selbst betrifft.

Dann brauchen wir jemanden, der das kennt. Der sich auch schon mal eingeigelt hat, als es falsch war - so falsch wie nur möglich. Der es trotzdem gemacht hat - und lebt erstaunlicherweise immer noch und reicht mir die Hand: "Komm! Steh auf und komm mit!"

FRANK WÄCHTERSHÄUSER, PFARRER IN LINTORF

(RP)
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