Remscheid Absturz — Autorin bricht das Schweigen

Remscheid · Die Remscheiderin Veronika Wolf veröffentlicht ein Buch über die Katastrophe am 8. Dezember 1988. Darin verarbeitet sie Erlebtes und kombiniert es mit Fiktion. Ein Denkanstoß - 26 Jahre nach der Katastrophe wünscht sie sich eine Diskussion über gesunde Stadtstrukturen.

 Veronika Wolf zeigt das Bild ihres Sohnes Thiemo. Sechs Jahre war er alt, als er es kurz nach dem Absturz malte.

Veronika Wolf zeigt das Bild ihres Sohnes Thiemo. Sechs Jahre war er alt, als er es kurz nach dem Absturz malte.

Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Ein trauriges und düsteres Kapitel Remscheider Stadtgeschichte wird jetzt mit der Neuerscheinung eines Buches erneut aufgeschlagen: "Schweigende Stadt" betitelt es die Autorin, Veronika Wolf. Es ist das erste Buch der Remscheiderin. In dem von ihr als Tatsachenroman bezeichneten Werk setzt sich die Umweltaktivistin auf 244 Seiten mit dem Flugzeugabsturz am 8. Dezember 1988 auseinander. Und mit Folgen von Katastrophen wie dieser für eine Stadt. Weil aber im Negativen oft Impulse für positive Entwicklungen stecken, würde Wolf gerne ein neues Kapitel aufschlagen. Das Kapitel einer Gesellschaft, in der Menschen Verantwortung für ihre Stadt übernehmen, miteinander sprechen, kooperieren.

Wolf verarbeitet in dem Buch Erlebtes und mischt dies mit Fiktion. Auf dem Buchcover ist ein Kinderbild zu sehen, das ihr damals sechsjähriger Sohn Thiemo nach dem Absturz des amerikanischen Kampffliegers malte. Kreuze deuten symbolhaft auf die Schrecken hin, die der Absturz verbreitete.

Nach 26 Jahren erneut all das aufwühlen, was viele Menschen vielleicht vergessen wollen oder zu verdrängen suchen? Nach Auffassung Wolfs, die als damalige Anwohnerin und Augenzeugin auch Betroffene ist, blieb vieles nebulös oder wurde verschwiegen. Bis heute leiden betroffene Menschen - psychisch und physisch. "Doch heute trauen sich einige auch, über das Erlebte offen zu sprechen", sagt sie.

Im Mittelpunkt des Romans steht die Figur Laura, eine Anwohnerin an der Absturzstelle, wo ein gigantisches Feuer wütete, nachdem der Flieger einen Straßenzug in Schutt und Asche gelegt hatte. Als Mutter von vier Söhnen sorgt sie sich um die Gesundheit ihrer Familie. In einer Szene beschreibt Wolf, wie Laura mit den Kindern nach dem Absturz des Bombers aus dem Haus flüchtet. Wälder stehen in Flammen, überall liegt Schrott herum, Munition explodiert. Plötzlich sieht sie einen Mann mit einem weißen Mercedes und Autotelefon. Er warnt sie: "Nehmen Sie ihre Kinder und gehen Sie ins Haus, schließen Sie Türen und Fenster und kommen Sie eine Woche nicht mehr heraus. Es ist ein amerikanischer Kampfbomber abgestürzt mit chemischen Waffen an Bord." Der Unbekannte ist eine zentrale Figur im Roman. Das Geheimnis, wer er ist, wird später gelüftet.

In der Kurzbeschreibung des Buches heißt es: Nach dem Absturz werden "die ersten Erkrankungen bekannt. Hauterkrankungen, Immundefekte, Fehlgeburten, Krebs. Untersuchungen des Absturzgebietes beginnen. Krebserregende Gifte werden in den Gärten der Anwohner gefunden. Schon bald danach mehren sich die Zweifel, ob die offiziellen Beschwichtigungen von höchster Stelle glaubhaft sind. 25 Jahre danach wird das Schweigen gebrochen."

Veronika Wolf war damals die Gründerin einer Bürgerinitiative, die nach dem Absturz Aufklärung und Untersuchungen forderte. Alles hat sie dokumentiert und gesammelt. Rund 30 Ordner über die Katastrophe und was danach passierte, lagern nun auf ihrem Speicher. "Ich habe 25 Jahre gebraucht, ehe ich das Buch schreiben konnte", sagte sie vergangenes Jahr, nachdem das Manuskript fertig war.

Mit dem Buch wolle sie eine Diskussion über das Thema "gesunde Stadt" anstoßen, sagt Wolf heute. Denn in den Kapiteln werden auch soziale, gesellschaftliche Folgen einer solchen Katastrophe aufgezeigt - ungesunde Strukturen, Intransparenz und das mulmige Gefühl des Ausgeliefertseins. Für Remscheid schwebt Veronika Wolf - mehr als 26 Jahre nach dem Absturz -ein anderes Bild vor. Das Bild von gesunden Stadtstrukturen, von viel Mitbestimmung der Bürger, die sich einbringen, Verantwortung übernehmen. Die "Hertie-Initiative" könnte solch ein Beispiel liefern, sagt sie. Der Kreis um Wolf hatte ein Gegenmodell zum Projekt "Vollsortimenter" entworfen und der Lenneper Politik vorgestellt: Unter dem Karstadt-Dach könnte es genossenschaftlich, kreativ, gesund, ökologisch und kommunikativ zugehen.

(RP)
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